Straftat: Liebe

Der Kinofilm "Große Freiheit" erinnert an das Leid Homosexueller bis weit in die Gegenwart

17.11.2021, 18:00 Uhr
Hans (Franz Rogowski, li.) und Viktor (Georg Friedrich) schauen im Gemeinschaftsraum des Gefängnisses der Übertragung der ersten Mondlandung 1969 zu. Kurz darauf erfährt Hans, dass der Paragraph 175 abgeschafft wird.

© Piffl Medien Filmverleih, epd Hans (Franz Rogowski, li.) und Viktor (Georg Friedrich) schauen im Gemeinschaftsraum des Gefängnisses der Übertragung der ersten Mondlandung 1969 zu. Kurz darauf erfährt Hans, dass der Paragraph 175 abgeschafft wird.

Einmal sieht man ein Super-8-Filmchen, das Hans von Oskar beim Baden am See gedreht hat. Es ist ein glücklicher Tag, das etwas verwackelte Dokument einer großen Liebe. Die nächste Szene führt in die komplette Dunkelheit, man hört die Schreie von Hans, der – nicht zum ersten Mal, weil er gegen die Wärter rebelliert hat – in die Isolationszelle gesperrt wurde, bekleidet nur mit seiner Unterhose.

Ein Mann sitzt seiner Liebe wegen im Gefängnis. An keiner anderen Stelle in Sebastian Meises Drama "Große Freiheit" wird die grausame Inhumanität des Paragraphen 175 eklatanter vor Augen geführt als hier. Noch bis 1969 stand "widernatürliche Unzucht", als die Homosexualität laut Gesetz seit 1871 galt, unter Strafe. Endgültig abgeschafft wurde der Paragraph erst 1994.

Immer wieder landet Hans (Franz Rogowski) in der Isolationszelle, wo nur die von Viktor hereingeschmuggelten Streichhölzer  für kurze Zeit Licht in der grausamen Dunkelheit spenden. 

Immer wieder landet Hans (Franz Rogowski) in der Isolationszelle, wo nur die von Viktor hereingeschmuggelten Streichhölzer  für kurze Zeit Licht in der grausamen Dunkelheit spenden.  © Piffl Medien Filmverleih, epd

Hans, im Film herausragend intensiv verkörpert von Franz Rogowski, wurde im Dritten Reich von den Nazis ins KZ gesperrt. Als die Alliierten die Überlebenden befreien, erwartet ihn mitnichten die Freiheit, sondern Gefängnishaft. Er hat noch eine Reststrafe von vier Monaten abzusitzen. Selbst der wegen Mordes verurteilte Viktor, der Homosexuelle für "Perverse" hält, kann das nicht fassen: "Was, die stecken dich vom KZ in den Bau?"

Der Film erzählt in Zeitsprüngen zwischen den Jahren 1968, 1945 und 1957 von einer Freundschaft hinter Gefängnismauern, die beginnt, als Viktor die KZ-Nummer auf dem Arm des neuen Häftlings entdeckt. Gerade noch hat der Ältere, der wenig Aussichten auf Entlassung hat, die "Schwuchtel" aus der Zelle werfen wollen. Nun regt sich sein Mitgefühl, er bietet Hans an, die Nummer mit einem Tatoo zu überstechen.

Viktor versteht sich nicht nur aufs Tätowieren, er weiß auch, wie man sich Drogen beschafft und hat das Gefängnis als eine Art Zuhause akzeptiert – draußen erwartet ihn ohnehin nichts. Wie verzweifelt auch Viktor ist (Georg Friedrich spielt ihn ebenfalls fantastisch zwischen Härte und Sensibilität), wird nur manchmal, aber sehr eindrücklich angedeutet.

"Ich bin jetzt legal"

Für Hans, der immer wieder auf freien Fuß kommt und immer wieder erwischt wird, wird Viktor zu einer Konstante in seinem Leben, von dem man außerhalb des Gefängnisses kaum mehr als das eingangs erwähnte Video sieht. Auch in welchem Jahr der Film sich befindet, ist nur an den äußerlichen Veränderungen der Männer zu erkennen – und an ihrer wachsenden Vertrautheit.

Als Hans 1957 im Gefängnis Oskar (Thomas Prenn) wiedertrifft, dem die Unmöglichkeit ihrer Liebe weit mehr bewusst ist als dem Freund und der die unwiderbringliche Konsequenz zieht, ist es Viktor, der Hans hält und tröstet. Als Hans bei seinem nächsten Gefängnisaufenthalt mit dem jungen Deutsch- und Musiklehrer Leo (Anton von Lucke) anbandelt, rührt sich in Viktor leise Eifersucht. Doch immer überwiegt der Zusammenhalt der beiden Männer.

Wie dabei auch eine große, umfassende Zärtlichkeit entsteht, zeigt sich in vielen kleinen Szenen und am berührendsten beim Drogenentzug von Viktor. Hans zieht dafür zu ihm in die Zelle, hält den Erschöpften wie ein Kind in seinen Armen. Ihre Intimität wird lebensrettend für zwei Männer, die beide auf ihre Art stark sind und sich beide verzweifelt nach Nähe und Liebe sehnen.

Auf dem Titelblatt einer "Spiegel"- Ausgabe entdeckt Hans 1969 zufällig die Schlagzeile, die seine Freiheit bedeutet "§ 175: Das Gesetz fällt – bleibt die Ächtung?" steht dort. Keiner hat ihm zuvor von der geplanten Gesetzesänderung erzählt. "Ich bin jetzt legal", sagt Hans ungläubig zu Victor. Ich darf jetzt leben, heißt das mit anderen Worten.

Draußen lockt "Die große Freiheit" in roter Neonleuchtschrift über einer Bar, in der oben Jazz gespielt wird und die Homosexuellen sich im Keller treffen: Ein Ort der Heimlichkeit, der vor Augen führt, das 1969 von gesellschaftlicher Akzeptanz und echter Freiheit noch lange keine Rede sein kann. Hans trifft für sich eine Entscheidung, die traurig und schön zugleich ist und für die der Film ein Schlussbild findet, das ganz unerwartet schmunzeln lässt. (116 Min.)

In diesen Kinos läuft der Film.

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