Die Geschichte des "weißen Goldes der Oberpfalz"

24.3.2012, 13:00 Uhr
Die Geschichte des

© Aus dem besprochenen Buch

Die Oma hat noch solche Tassen, die nicht in die Spülmaschine dürfen und die leicht ein Eck verlieren. Steingut ist empfindliches Material, aber dafür konnte man aus dem Ton, den man nördlich von Hirschau fand, auch fast alles machen: Tassen und Teller, Bierkrüge und Aschenbecher, Salzstreuer und Nippes, Kindersauger und Nachttöpfe, Jesusfiguren und Weihwasserkessel. Als Verkaufsschlager erwies sich das „Asterndekor“. Dieses bunte Geschirr stand auch auf dem Esstisch der Großeltern von Michael Popp, die in Hirschau wohnten. Erst vor etwa zehn Jahren entdeckte er, dass seine Oma aus der Gründerfamilie der Steingut-Fabrik Dorfner stammte.

Die Bauern in der Oberpfalz waren eher sauer über den tonigen Boden. In einem Schreiben an die Steuerbehörde von 1740 heißt es, die Ernte sei schlecht: Weil „wann man da und dort nur einen halbe Schuech in die Erden hineinschlaget, der weiß und todte, unfruchtbare Erdsandboden anzutreffen sey“. Erst 100 Jahre später wurde dieser Schatz gehoben. Das „weiße Gold der Oberpfalz“ hat einen chemischen Prozess von 40 Millionen Jahren hinter sich.

Noch heute wird die Tonerde abgebaut, der Vorrat reicht noch Jahrzehnte. Aber mit der preiswerteren Produktion von haltbarerem Porzellan begann nach dem Zweiten Weltkrieg rasch der Niedergang der Steingut-Fabriken. Michael Popp hat viele Jahre Erzeugnisse verschiedener Fabriken gesammelt, unzählige Zeitzeugen befragt, Firmen- und Staatsarchive durchwühlt. Herausgekommen ist auf 160 Seiten ein liebevoll illustriertes, anschaulich und mit Herzblut geschriebenes Stück Heimat- und Kulturgeschichte.

Fabriken boten sicheren Arbeitsplatz


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© Aus dem besprochenen Buch

Denn die Fabriken boten nicht nur zahllosen Oberpfälzern (und nach dem Krieg vielen Vertriebenen) einen sicheren Arbeitsplatz. Bei der Gestaltung und Bemalung des Geschirrs waren auch geschickte Frauenhände, handwerkliches Können und künstlerisches Geschick gefragt.

Bis zu 100 Tassen bemalten die Frauen in den 20er Jahren pro Tag nach Musterblättern, dazu sangen sie gemeinsam Volkslieder. Die Muster und Formen, die sich auf Geschirr, Krügen und Zimmerschmuck fanden, waren aktuellen Moden und Stilepochen unterworfen. Hier gliedert das Buch genau die einzelnen Arbeitstechniken, Firmenentwicklungen und Zeitabschnitte.

Ein interessantes Kapitel ist Eva Zeisel gewidmet. Die künstlerische Leiterin der russischen Keramikindustrie floh vor Stalin nach Österreich und von dort als Jüdin vor den Nazis in die USA — und hat dennoch mit den Steingut-Fabriken Hirschaus einiges zu tun. In den eineinviertel Jahren, die Eva Zeisel von Berlin aus für die Christian Carstens GmbH in Hirschau arbeitete, hat sie die Massenproduktion von Geschirr revolutioniert. Bis in die 1920er Jahre war Geschirr Wertvolles der Wohlhabenden. Sie entwarf ab 1930 für die Hirschauer Firma im Bauhaus-Stil: einfach, geometrisch, klar und praktisch. Die junge Designerin dachte auch daran, dass die Kanne nicht tropft, der Deckel nicht davon springt und die Teetasse gut zu halten ist. Künstlerisch und optisch waren die Produkte ein Höhepunkt der Hirschauer Steingut-Industrie. Zugeschrieben wird ihr auch das Speiseservice „Nürnberg“. Eva Zeisel starb vor drei Monaten mit 105 Jahren in New York.

1956 schloss jedoch die letzte der Fabriken. Popps Fazit: „Sicher hatte man den Trend verschlafen, rechtzeitig auf die Porzellanherstellung umzusteigen. Das weichere Steingut wurde spätestens in den 1950er Jahren von dem härteren und widerstandsfähigeren Porzellan verdrängt. Dieses konnte durch die maschinelle Produktion allmählich auch preisgünstiger hergestellt werden, wobei sich das benachbarte Oberfranken (und Weiden) als neues Zentrum entwickelte.“

Importware aus China

Und mit dem Blick aufs Heute konstatiert Michael Popp: „Tragischerweise ergeht es der heimischen Porzellanindustrie heute, über 50 Jahre später, ähnlich wie damals dem Steingut: Es wird von billiger Importware vor allem aus China verdrängt.“ Die Stadt Hirschau wollte schon vor Jahren, ermuntert durch Popps Forschungen und Sammlungen, ein Museum aufbauen. Die globale Finanzkrise und die klammen Gemeindefinanzen verzögerten das Projekt. Aber, verspricht Bürgermeister Hans Drexler in seinem Vorwort, das Buch sei ihm und den Bürgern Auftrag, „unsere Schätze zusammenzutragen, um sie in hoffentlich nicht allzu ferner Zeit öffentlich präsentieren zu können“. Noch bis Ende März läuft in Hirschau eine Schaufensterausstellung unter der Federführung von Michael Popp. Rund 20 Geschäftsleute beteiligen sich unter dem Motto „Zeigt her eure Schätze“.
 

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