Die sexuell unersättliche Frau

17.5.2019, 14:50 Uhr
Die sexuell unersättliche Frau

© Foto: Valerie Macon/afp

Es gehört zum Schwersten in der Literatur, sexuelle Akte zu beschreiben. Die marokkanisch-französische Autorin kann das. Für ihren vorherigen Roman "Dann schlaf auch Du" ist sie mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet worden.

Zwischen der obszönen Sprache der Pornografie und der blumigen Romantik erotischer Ausschweifungen hat Slimani einen dritten Weg gefunden. Ihre Adèle ist eine Nymphomanin, sie braucht Sex und erlebt ihn prosaisch. Gewalt und Brutalität spielen eine Rolle, ein heikles Terrain. Aber es gehört für Slimani dazu, diesen enormen Drang von Frauen, mit vielen Männern zu schlafen, zu schildern. Sie weiß aus Gesprächen mit vielen Geschlechtsgenossinnen, dass es dieses Verlangen gibt. Aber es schickt sich nicht, darüber zu sprechen.

Es ist ein weibliches Schreiben über rastlose und brutale Sexualität. Männer schreiben schon lange darüber. Marquis de Sade, Georges Bataille, Henry Miller und Michel Houellebecq haben die Ästhetik von Sex und Gewalt in ihren Büchern geschildert. Aber Leila Slimani schreibt als Frau anders darüber. Ihre Adèle steht nach einer Affäre unter der Dusche, ihr biederer Arzt-Mann und der kleine Sohn schlafen. Sie erinnert sich an den Fremden, den sie getroffen und mit dem sie heftigen Sex gehabt hat. "Ihr Herz wird leichter, der Geist leer. Sie empfindet wieder etwas."

Es geht um das unbedingte Empfinden. In einem harten, atemraubenden Ton schreibt die Autorin über die Hauptfigur, die nicht anders kann, als sich preiszugeben, zu verausgaben und zu verletzen. Adèle arbeitet eher nebenher als Journalistin in Paris. Ihr Leben ist bürgerlich, doch sie sucht ständig den Kontrollverlust bei zufälligen Männerbekanntschaften. Adèle ist in der Literatur eine Antiheldin. Und wer hat je so kühn über den weiblichen Sexualtrieb geschrieben? Männer gelten als Triebtäter. Aber diese Frau erlebt ihre Selbstermächtigung durch Selbsterniedrigung. "Es ist einfach nie genug, nie", heißt es. Und die Eroberungen gehen immer weiter. Adèle peinigt sich geradezu, damit aufzuhören, aber es gelingt ihr nicht. Bis ihr Doppelleben auffliegt. Adèle ist angreifbar: Sie stellt sich zur Schau, sie hat keine Macht, tut niemanden Gewalt an, erlaubt aber männliche Gewalt an ihrem eigenen Körper.

Das Erstaunlichste daran ist, dass Adèles Mann Richard die Exzesse seiner Frau lange nicht mitbekommt. Er schläft regelmäßig mit ihr, ohne viele Worte. "Es schien ihn nie zu kümmern, in welch tiefe Einsamkeit er seine Frau stürzt. Sie hat nichts empfunden, rein gar nichts." Man lebt nebeneinander her, vermutlich in viel mehr Ehen und Beziehungen, als wir glauben. Richard "hat Sex nie viel Bedeutung beigemessen. Selbst als er jünger war, hat er nur ein relatives Vergnügen daran gefunden. Er fühlte sich unfähig, den leidenschaftlichen Liebhaber zu spielen."

Sexualität hat Erkenntnis zur Folge. Ein Mensch versteht sich besser. Männer sind Adèles Schicksal, "die einzigen Bezugspunkte ihres Daseins". Sie kann nicht anders.

InfoLeila Slimani: All das zu verlieren. Roman aus dem Französischen von Amelie Thoma. Luchterhand, München, 224 S., 22 Euro.

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