Mr. Berlinale im Casablanca

Dieter Kosslick zu Gast in Nürnberg: "Kinder sollten einmal in der Woche ins Kino"

19.10.2021, 14:51 Uhr
Dieter Kosslick im Nürnberger Casablanca, dem "Kino mit Courage" - ein Titel, der auch zu dem prominenten Gast passt.

© Eduard Weigert, NNZ Dieter Kosslick im Nürnberger Casablanca, dem "Kino mit Courage" - ein Titel, der auch zu dem prominenten Gast passt.

Einen prominenten Promoter hatte sich das Nürnberger Casablanca eingeladen, um seine Aktivitäten in Sachen Klimaneutralität vorzustellen: Das Thema treibt Dieter Kosslick, seit 35 Jahren im Filmgeschäft und von 2001 bis 2019 Leiter der Berlinale, schon lange um.
Die Internationalen Filmfestspiele waren 2015 das erste Festival weltweit, das als CO2-neutral zertifiziert wurde. „Wer öffentliche Gelder bekommt, hat die Pflicht, die Welt besser zu machen. Sonst gibt’s auch keine Staatsknete“, formulierte es Kosslick deutlich beim Gespräch vor der Lesung aus seinem Buch „Immer auf dem Teppich bleiben“.

Casablanca-Leiter Matthias Damm mit Dieter Kosslick und Susanne Lösch, Leiterin des Projekts "Kino Natürlich".

Casablanca-Leiter Matthias Damm mit Dieter Kosslick und Susanne Lösch, Leiterin des Projekts "Kino Natürlich". © Eduard Weigert, NNZ

„Staatsknete“ in Form dauerhafter Subventionen bekommt das Casablanca nicht. Was die Bemühungen um einen umweltfreundlichen Kinobetrieb betrifft, darf man das kleine, von einem Verein getragene Filmkunsttheater aber als vorbildlich bezeichnen.
Durch die Umstellung auf Ökostrom, LED-Beleuchtung, den Einbau neuer Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung und viele weitere Maßnahmen ist man beim primären Ressourcenverbrauch inzwischen CO2-neutral und eines von sieben Referenzkinos von „Kino Natürlich“. Das 2018 von der „AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater“ initiierte Projekt unterstützt Kinos bundesweit dabei, ihren Betrieb ökologisch nachhaltig zu gestalten.

Für den Espresso in der Casablanca-Kneipe gab es ein Extra-Lob von Kosslick: der schmecke viel besser als die bitteren Dark-Blend-Variationen in den Berliner Szene-Vierteln.

Für den Espresso in der Casablanca-Kneipe gab es ein Extra-Lob von Kosslick: der schmecke viel besser als die bitteren Dark-Blend-Variationen in den Berliner Szene-Vierteln. © Eduard Weigert, NNZ

Großen Handlungsbedarf gibt es aber auch beim Filmedrehen. Selbst bei einer mittelgroßen Hollywood-Produktion entstehen laut einer britischen Studie über 2800 Tonnen Kohlendioxid. „Das sind elf Flüge von der Erde zum Mond“, so Kosslick. Während sich das „Green Shooting“, also das grüne Produzieren, in den USA selbst bei Blockbustern immer mehr durchsetze, gebe es zwar auch hierzulande viele gute Ansätze. Als größtes Hindernis auf dem Weg zur umweltschonenden Produktion sieht er aber die regionale Filmförderung in Deutschland.
Weil es Geld von den Fördergremien der Bundesländer nur dann gibt, wenn auch in der Region gedreht und mindestens das anderthalbfache der Summe vor Ort wieder ausgegeben wird, werden die Filmteams zu energieverschwendenen Vielreisenden.
„Den Fördertourismus zu stoppen, ist ein ganz heikles Thema, weil es da um die wirtschaftlichen Effekte geht. Aber Klimaneutralität muss höchste Priorität bekommen“, steht für Kosslick fest. In der Politik ist man sich der Notwendigkeit einer nachhaltigen Film- und Kinoförderung bewusst. Die für 2022 geplante Novelle des Filmförderungsgesetzes sieht unter anderem weitreichende Verpflichtungen zum Klimaschutz vor.

Dass es dabei am Ende auch den Popcorn- und Cola-Theken der Multiplexe an den Kragen gehen könnte, dürfte vielen Betreibern nicht schmecken, ist für Kosslick aber alternativlos: „Wenn man Kino für die Kinder von ,Fridays for Futures’ machen will, muss auch der Süßwaren-Verkauf auf den Prüfstand.“

Wie aber bringt man die junge Generation überhaupt noch ins Kino, wenn das Streaming-Angebot riesig ist? (Befördert durch die Pandemie gibt es weltweit heute über eine Milliarde Abonnenten.) Kosslicks Forderung: „Schulen und Kinos müssen Verträge schließen, in denen der Kinobesuch ein Mal die Woche festgeschrieben ist. Dafür muss man auch didaktische Modelle entwickeln, damit die Kinder lernen, dass Kino Spaß macht und ein kulturelles Gesamterlebnis ist.“

Für den 73-Jährigen hängt an diesem Bildungsauftrag die Zukunft des Kinos. „Das Kino hatte in der Pandemie keine Zeit zu sterben. Es ist nicht in der Krise und hat als Kultursparte überlebt. Aber es muss Antworten finden auf die aktuellen Herausforderungen.“ Über die Konkurrenz durch die Streaming-Dienste, die längst dick im Kinogeschäft mitmischen, brauche man nicht mehr zu reden. „Das ist einfach Realität.“

Ein glühender Verfechter des Kinos ist „Mr. Berlinale“, das konnte man im Casablanca erleben, auch nach seinem Abschied von der Berliner Bühne geblieben. Dass er den Posten nicht freiwillig abgegeben hat, ist bekannt. Etwas Bitterkeit ist bis heute geblieben. Die Neuaufstellung des Festivals durch seine Nachfolger will er jedoch nicht kommentieren. „Nachtarocken“, so Kosslick, „macht man nicht.“

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