"Ema": Vorsicht, leicht entzündlich!

22.10.2020, 11:45 Uhr
Die Ehe des Choreographen Gastón (Gael García Bernal) und der Tänzerin Ema (Mariana di Girólamo) steht am Scheideweg, doch los kommen die beiden nicht voneinander. Denn da ist eine gemeinsame Schuld.

© Koch Films Die Ehe des Choreographen Gastón (Gael García Bernal) und der Tänzerin Ema (Mariana di Girólamo) steht am Scheideweg, doch los kommen die beiden nicht voneinander. Denn da ist eine gemeinsame Schuld.

Schon die erste Szene ist so irritierend wie spannend – und macht neugierig. Mitten in der Nacht brennt in einer Stadt über einer menschenleeren Straße eine Ampel. Ziemlich lange hält die Kamera auf den schier schwebenden Feuerschein. Gleich darauf sieht man eine junge Frau mit wasserstoffblonden Haaren, die wie die Heldin eines Endzeitabenteuers im Schutzanzug und mit Flammenwerfer unterwegs ist...

Tatsächlich aber befinden wir uns in der unmittelbaren Gegenwart und in der chilenischen Hafenstadt Valparaíso. Doch Feuer und Flammen werden in diesem wilden und fast bis zum Schluss verrätselten Plot noch öfter eine Rolle spielen. Sie stehen auch symbolisch für den lodernden inneren Zustand der jungen Tänzerin Ema (Mariana di Girólamo), die das unangefochtene Epizentrum in Larraíns Geschichte ist.

Die Ehe steht am Scheideweg

Bruchstückhaft und in Andeutungen erfährt man nach und nach, was sie umtreibt. Ema und ihr Mann, der latent schwule Choreograph Gastón (Gael García Bernal), haben ihren Adoptivsohn zurückgegeben. Der Junge hatte Emas Schwester schwere Brandverletzungen zugefügt.

Ema und Gastón quält die Trauer und der Gedanke an das im Stich gelassene Kind zutiefst, mit gnadenlosen gegenseitigen Schuldzuweisungen fügen sie sich noch zusätzliche seelische Verletzungen zu. Auch ihr gesellschaftliches Umfeld reagiert mit Unverständnis. Bis die Ehe am Scheideweg steht. Larraín inszeniert das nicht etwa als lautstarken Streit, sondern als äußerlich seltsam ruhige Auseinandersetzung. So durchkreuzt er einmal mehr bekannte Muster. Doch seine beiden fabelhaften Hauptdarsteller lassen es unter der Oberfläche sichtbar brodeln.

Feuer und Wasser, Erotik und Sex

Die so egozentrische wie verzweifelte Ema wird sich aus Gastóns zahmer Kompagnie verabschieden. Sie wählt für ihre seelische Befreiung den anarchischen Weg. Mit einigen Tänzerinnen gründet sie ein eigenes, ungebändigtes Ensemble, das zu lasziven Reggaeton-Rhythmen auf der Straße performt. Parallel verführt sie mit manipulativer Finesse nicht nur Tänzerinnen und die Notarin, bei der sie die Scheidung durchdrücken will, sondern auch einen Feuerwehrmann. Der rückte an, um das Auto zu löschen, das Ema mit dem Flammenwerfer in Brand gesteckt hat.

Dass sie das alles nicht nur tut, weil sie es kann, lässt sich bei Larraín vermuten. Doch der spannt den Zuschauer lange auf die Folter. Feuer und Wasser, Erotik und Sex – zwischendrin fragt man sich, wie der Filmemacher all das zu einem schlüssigen Ende bringen will. Soviel kann man verraten: mit beunruhigender Wucht, einem Dreh ins Märchenhafte und nicht ganz unvorhersehbar.

Zu Emas Aufgewühltheit auf der einen und ihrer Trauer auf der anderen Seite passen nicht nur der Soundtrack und die starken Bilder, sondern auch die Textur des Films. Wilde Tanzszenen, fast wie aus einem Musical, wechseln mit ruhigen Einstellungen, etwa auf die Gesichter der Darsteller, in denen sich Gefühle ebenso spiegeln wie Verlassenheit. Dass Ema auf die Menschen, die sie lieben, Macht ausübt, lässt sie nicht unbedingt sympathisch wirken. Doch ihre Figur fasziniert. Wie der ganze Film. (101 Min.)


In diesen Kinos läuft der Film.

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