Erlangen, das "Woodstock der Literatur"

31.10.2019, 12:00 Uhr
Erlangen, das

© Marc Johnston

Neben dem Treffen der Schriftsteller, Publizisten, Kritiker und Literaturfans rund um den idyllischen Schlossgarten im Sommer finden hier zudem im Wechsel der Comic-Salon und das Figurentheater-Festival statt. Also eines der größten und wichtigsten Festivals Europas für "zeitgenössisches Figuren-, Bilder- und Objekttheater an der Schnittstelle zu Tanz, Performance-Kunst und Neuen Medien" und eine der größten und wichtigsten Veranstaltungen für Comic-Kunst und grafische Literatur im deutschsprachigen Raum.

Doch so viel Erfolg kann auch träge machen. Lange Zeit wurde man das Gefühl nicht los, dass die Zufriedenheit neue Ideen und Formate ausbremst. Gut, in wirtschaftlich angespannten Zeiten stand vor allem die Absicherung dieser Events im Vordergrund. Doch erst seit ein paar Jahren wird wieder weiterentwickelt. Gerade beim Comic-Salon und beim Figurentheater-Festival versucht man, mit spannenden Aktionen im öffentlichen Raum Kultur ohne Schwellenängste anzubieten. Das Poetenfest findet ohnehin großteils zum Nulltarif im Schlossgarten statt.

Dass drei vom städtischen Kultur-amt veranstaltete Festivals für die größte Außenwirkung sorgen, kommt nicht von ungefähr. Die freie Kultur-Szene hatte und hat es in Erlangen nicht leicht. Es fehlt weniger an Persönlichkeiten denn an Orten, um sich zu entfalten.

Offensiver werden

Industrie-Brachen und ähnliche Objekte, in der sich Künstler – und wenn nur zur Zwischennutzung – austoben können? Seit Jahren Fehlanzeige! Erlangen ist eine teure Stadt, aus der viele Kulturschaffende wegziehen, um andernorts Ateliers und Proberäume zu finden. Viele der nicht-kommunalen Kultureinrichtungen und Initiativen sind bereits vor Jahrzehnten entstanden.

Doch aktuell kommt wieder Bewegung ins Geschehen. Auch durch die städtischen Kulturverantwortlichen: "Wir sind dabei, uns mehr zu öffnen, breiter zu denken und offensiver auf die Menschen zuzugehen", sagt Erlangens Kulturreferentin Anke Steinert-Neuwirth. Gerade hat man seitens der Stadt die "Kultur- und Kreativ-Wirtschaft" für sich entdeckt, möchte verstärkt den öffentlichen Raum als Kunst- und Kulturraum nutzen und Freiräume schaffen. Steinert-Neuwirth: "Unser Ziel ist eine aktivierende Kultur-Förder-Politik." Das ist schon mal ein Schritt weg von einer Kultur-Politik, bei der es vor allem um Gender-Sternchen und eine vermeintliche "Kultur für alle" unter Profi-Bedingungen geht.

Hoffnungen werden nicht zuletzt in die großen Veränderungen und temporären Leerstände gesetzt, die durch den Umzug von Siemens aus der Innenstadt in den im Süden gelegenen Campus und den Umschichtungen bei den Universitäts-Gebäuden entstehen könnten. "Natürlich spechten wir darauf und halten in dieser Sache Kontakt zu Siemens und zur Universität", sagt Steinert-Neuwirth.

Doch was nimmt man als Kultur-Interessierter heute jenseits der Stadtgrenzen noch wahr? Vermutlich das Kunstpalais. Ein Ort, der seit einigen Jahren mit einem jungen, mutigen Ausstellungsprogramm für Aufsehen sorgt. Als ruhender Gegenpol hat sich das Kunstmuseum mit einer beachtlichen Sammlung herausragender Werke von renommierten Künstlern der vergangenen Jahrzehnte aus der Region etabliert.

Da ist auch ein durchaus bemerkenswertes städtisches Theater mit einem Mini-Ensemble, das oft mutig und selten hausbacken das Markgrafentheater und die kleine "Garage" bespielt – und immer wieder für ungewöhnliche Aktionen den "Schutzraum Theater" verlässt. Wie etwa bei der "Tresenlesen"-Reihe mit inszenierten Lesungen, die schon mal in Pils-Kneipen am Bahnhof und in der Altstadt stattfinden können.

Das (nun weitgehend finanziell abgesicherte) Kulturzentrum E-Werk hat immer noch einen Konzert-Schwerpunkt, der eine gute Mischung aus Jazz, aktueller Pop-Musik und anspruchsvollen Indie-Acts aufweist. Im Bereich Kabarett ist die Kleinkunstbühne fifty fifty eine der Top-Adressen in ganz Bayern. Für ein anspruchsvolles Klassik-Angebot sorgen in der Hochburg des Bildungsbürgertums der Gemeinnützige Theater- und Konzertverein Erlangen (der 1876 gegründete GVE bezeichnet sich stolz als "die älteste kulturelle Bürgerinitiative Erlangens"), das Erlanger Musikinstitut (EMI), die Universitätsmusik und jede Menge Chöre, Kantoreien und Musik-Ensembles mit reger Konzert-Tätigkeit.

Groß und mutig denken

Dass sich auch das seit Jahren unter SPD-Führung befindliche Kulturamt der Stadt wieder in neue Abenteuer stürzt und sich nicht vorrangig um die Umsetzung soziokultureller Leitsätze Gedanken macht, zeigt ein bevorstehendes städtisches Kultur-Großprojekt. Nach der millionenschweren Umwandlung des Frankenhofs in einen modernen Bildungs-Campus steht nun die Neugestaltung des Stadtmuseums bevor. In den nächsten Jahren soll hier in einem historischen Gebäudekomplex in der Altstadt ein neu konzipierter Ort für die Kultur- und Sozialgeschichte Erlangens entstehen. Mit stark vergrößerten Ausstellungsflächen und – wenn der Stadtrat mitzieht – ungewöhnlicher Architektur. "Lasst uns groß denken, lasst uns mutig denken!", fordert Anke Steinert-Neuwirth. Das lässt doch hoffen für die Zukunft der (noch) Festivalstadt.

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