Ermittlungen in eisiger Zeit: Der Thriller "Freies Land"

10.1.2020, 12:24 Uhr
Ermittlungen in eisiger Zeit: Der Thriller

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Zwei Schwestern, 15 und 17 Jahre alt, sind verschwunden. Sie sind nicht die ersten, die das Städtchen Löwitz im Marschland von Mecklenburg-Vorpommern ohne Abschied verlassen haben. Die Dorfbewohner vermuten, dass die Teenager nach Berlin abgehauen sind, geflüchtet vor der Tristesse im deutschen Nordosten, wo drei Jahre nach dem Mauerfall statt der versprochenen blühenden Landschaften die Industrieanlagen abgewrackt oder an die Wessis verscherbelt werden.

Als der aus Hamburg nach Rostock strafversetzte Kommissar Patrick Stein (Trystan Pütter) und sein Kollege Markus Bach (Felix Kramer), schon zu DDR-Zeiten im Polizeidienst tätig, ins frostig kalte Löwitz beordert werden, treffen sie auf Wut, Misstrauen und einen Morast aus Lügen und Intrigen. Sogar der Vater (Marius Marx) der Mädchen reagiert aggressiv auf die Ermittler. Die Mutter (Nora Waldstätten) traut sich nur heimlich, mit den Polizisten zu kooperieren. Und der Leiter der Kriminalinspektion, der zur Eile drängt, scheint an einer echten Aufklärung des Falls kaum interessiert zu sein. Selbst dann nicht, als man die Leichen der gefolterten und vergewaltigten Schwestern im Flussbett findet und sich die Hinweise auf einen Serienmörder verdichten.

Mit "Freies Land" bringt Regisseur Christian Alvart, der auch die Bildgestaltung übernahm und gemeinsam mit Sigfried Kamml das Drehbuch schrieb, ein Remake von Alberto Rodríguez’ "La Isla Mínima – Mörderland" ins Kino. Der Thriller von 2014 spielt wenige Jahre nach dem Ende der Franco-Diktatur und rückt ebenfalls eine in der Zeit des Umbruchs erstarrte Gesellschaft in den Fokus. Alvart folgt der Vorlage sehr genau, die Dialoge sind teils identisch, auch die Kameraflüge über die karge, abweisende Landschaft erinnern an "Mörderland". Und wie der noch dem Franco-Regime anhängende Polizist im Original leidet auch Bach an einer schweren Krankheit – als trüge er das DDR-System, in dessen Verbrechen er tief verstrickt war, wie ein Krebsgeschwür in sich.

In punkto Atmosphäre und Intensität übertrifft "Freies Land" Rodríguez’ vielfach preisgekrönten Film aber noch. Dazu trägt schon der dunkle Soundtrack – ein Männergesang ohne Worte – bei. Vor allem aber macht Alvart die seelischen und mentalen Verheerungen des abgehängten Landstrichs im ostdeutschen Niemandsland auf eindringlichste Weise sichtbar.

Und stärker als im Original rücken die inneren Konflikte der beiden Ermittler ins Zentrum, deren grundverschiedene Charaktere schon bei der ersten (durchaus witzigen) Begegnung offenbar werden. Trotzdem bilden der idealistische Stein und der trinkfeste Bach ein gutes Team, sogar die brachialen Methoden des Kollegen nimmt Stein dank ihrer Effizienz missbilligend hin – bis er von dessen finsterer Vergangenheit erfährt.

Im Gewand eines Thrillers gelingt Alvart mit "Freies Land" ein bedrückendes und grandios inszeniertes Gesellschaftsporträt, das den Finger tief in die Wunden der deutsch-deutschen Geschichte legt. Die zwei Protagonisten wirken dabei selbst wie traurige Helden in einer verlorenen Welt. (128 Min.)

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