"Es brennt" in der Kunsthalle Nürnberg: Marcel Odenbach stellt aus

1.10.2020, 16:20 Uhr
Nach dieser Collage ist die Ausstellung in der Kunsthalle Nürnberg benannt: "Es brennt" von Marcel Odenbach.

© Vesko Gösel© VG Bild-Kunst Bonn, 2020 Nach dieser Collage ist die Ausstellung in der Kunsthalle Nürnberg benannt: "Es brennt" von Marcel Odenbach.

Schon als Kind wollte Marcel Odenbach „weder Cowboy noch Feuerwehrmann werden“ wie die anderen Jungs – „sondern Entdeckungsreisender“.
Wenn der gebürtige Rheinländer sich dann doch zu einem der renommiertesten deutschen Künstler gemausert hat und als solcher ab sofort unter dem notrufnahen Titel „Es brennt“ in Nürnberg ausstellt, sollten wir das nicht pyromanisch, sondern vielmehr politisch verstehen.
Persönliches flammt in seinen Videorbeiten und Collagen ebenso auf wie Brandherde des Öffentlichen. Und spätestens hier kommt nun auch der Entdeckungsreisende wieder ins Spiel. Denn Odenbachs Stammbaum wurzelt in aller Welt.

Auf den Hund gekommen?

1953 in Köln als Sohn eines Belgiers jüdischer Abstammung geboren, wechselt er heute zwischen Berlin, dem Rheinland und Schwarzafrika als Wohnorten. Und das sind nur drei Stationen einer Künstlerbiografie, die reich an Bildern und nicht minder reich an aufgewecktem Hinterfragen unserer Erinnerung und Wahrnehmung ist.
In den 1970er Jahren war er einer der ersten, die mit dem Medium Video umgingen. Gleichwertig kamen Collagen hinzu. Nürnberg-Bezug hatte sein Schaffen schon 1983, als die Text-Bild-Komposition „Auf den Hund gekommen sein?“ entstand. Als Künstler verhandelt Odenbach darin den zeitweiligen Umgang mit Gebäuden auf dem Reichsparteitagsgelände: „Es bringt nichts, das als Lagerhalle zu verwenden.“

Marcel Odenbach zeigt seine Collagen und Videoarbeiten in der Kunsthalle Nürnberg.

Marcel Odenbach zeigt seine Collagen und Videoarbeiten in der Kunsthalle Nürnberg. © Christian Mückl

Eine Reihe großformatiger Collagen des Künstlers beziehen sich auf das Land nach dem Krieg: Das Bild „Deutschland im Herbst“ (2019) etwa, mit dem Pool des Bonner Kanzlerbunkers darauf. Da könnte alles so schön sein! Doch auf kühlem Wasserblau schwimmen braune Blätter.
Die Collage „Ordnung muß sein“ (2019) zeigt den hölzernen Schrank aus der Vorküche des Kanzlerbungalows. Die Beschriftungen der Schubladen verweisen auf das „bessere“ und das „einfachere“ Besteck. Und dann: In die unterste Schublade hat Odenbach Hans Holbeins Gemälde „Der Leichnam Christi im Grabe“ (1521/1522) eingepflegt. Ein Verweis auf die Leichen im Keller der Geschichte? Nur weil Ordnung herrscht, heißt das noch lange nicht, das alles in Ordnung ist.
Im Westen galt das wohl genau so wie in der damaligen DDR: Blutrot zittern die Fließen in der Collage „Auf wackeligem Boden“, dem Odenbach die Muster aus Erich Mielkes Stasi-Büro zugrunde gelegt hat. Daneben ist der Büro-Vorhang mit Zeilen aus Christa Wolfs Roman „Stadt der Engel“ grundiert. Einer Autorin also, die sich an ihre Stasi-Mitarbeit nach der Wende angeblich nicht mehr zurückerinnern konnte.

Brisanter Brief der Großmutter

Das sind Werke, die wie Vexierbilder wirken. Auf den ersten Blick eindeutig – um dann in Bedeutungsebenen aufzufächern. Große Themen werden ins Biographische übersetzt. Nehmen wir nur das nostalgische Bild von der Olympia-Schreibmaschine der Großmutter des Künstlers, die als Jüdin in den 1930er Jahren aus Nazi-Deutschland floh. Der Brief, der hinter der Tastatur steckt, ist brisant. Er berichtet von den Einschränkungen des Lebens jüdischer Bürger im „Dritten Reich“.
Spannung steckt drin
Für die Videoinstallation „Tropenkoller“ (2017) hat Odenbach die einstige deutsche „Musterkolonie“ Togo besucht, um ihr auf einer zweiten Leinwand Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus der Zeit unter kaiserlicher Herrschaft gegenüberzustellen.
„Tupac“ zeigt ein Porträt des amerikanischen Rappers und Aktivisten Tupac Amaru Shakur (1971–1996), den ein Unbekannter erschoss. In das Kopftuch des Musikers sind Zeilen aus dem Buch „Welcome to the Jungle“ von Kobena Mercer über die Gegenwartskultur der Schwarzen hineincollagiert. Mit Texten aufgeladene Bilder: bei Odenbach Programm.

"Heute brennt es noch viel mehr"

Fünf Monate lang dauerte im letzten Jahr die Arbeit an der Collage „Es brennt“. Das feurige Bild weckt Assoziationen zur „Kristallnacht“ 1938 und ist nach den Anschlägen auf die Synagoge in Halle 2019 entstanden. "Heute", sagt Odenbach, „brennt es noch viel mehr“. Also schafft er eine Ästhetik der Katastrophen. Manchmal auch nah am Pathos. Spannung steckt drin: Vorne brennt’s, hinten lauert die Gefahr.

Info:

Marcel Odenbach: „Es brennt“. Kunsthalle Nürnberg, Lorenzer Str. 32. Di. – So. 10–18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr, Katalog 24,80 Euro.

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