Grusel mit Grips

Frankenstein-Tag: Worum es in der Geschichte geht

Stefan Besner

Online-Redaktion

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30.8.2023, 07:57 Uhr
Im Gegensatz zu so mancher Filmadaption ist das Wesen in Shelleys Roman zu Anfang keinesfalls böse.

© IMAGO Im Gegensatz zu so mancher Filmadaption ist das Wesen in Shelleys Roman zu Anfang keinesfalls böse.

Am 30. August jährt sich der Geburtstag der damals 19-jährigen Autorin, darum begehen traditionsbewusste Horrorfans diesen Tag als "Frankenstein-Tag". Aber worum geht es eigentlich in dem Horror-Klassiker?

Ein Stöhnen aus der Dunkelheit, fast menschlich, voller Hass und Verzweiflung; die mit schmuddeligen Bandagen umwickelten Hände traumwandlerisch nach vorne ausgestreckt, bereit, jedem den Hals umzudrehen, der unvorsichtig oder dumm genug ist, seinen Weg zu kreuzen... So tapert Frankensteins Monster noch heute über die Fernsehbildschirme – und durch so manchen Alptraum.

Fällt der Name Frankenstein, haben die meisten wohl automatisch eben jenes Bild von Boris Karloffs ikonischer Leinwand-Verkörperung der Kreatur vor Augen. Dabei wissen viele mittlerweile wohl nicht einmal mehr, wer Boris Karloff überhaupt war oder dass Frankenstein gar nicht der aus Leichenteilen zusammengeflickte, mordende Homunkulus, sondern der Wissenschaftler ist, der ihn erschuf.

Wer ist Frankenstein - und wer das Monster?

Viktor Frankenstein, in der Romanvorlage von Mary Wollstonecraft Shelley ein genialer, junger, schweizer Arzt, ist von Hybris getrieben und wahnhaftem Ehrgeiz zerfressen. Er will die Natur überlisten und was tot ist, zu neuem Leben erwecken. Der Clou gelingt. Frankensteins Monster ist geboren.

Im Gegensatz zu so mancher Filmadaption ist das Wesen in Shelleys Roman "Frankenstein oder Der moderne Prometheus" zu Anfang allerdings keinesfalls böse. Ein kluger und sensibler Geist ist gefangen im Körper einer Abscheulichkeit. Erst durch die Ablehnung, die es aufgrund seiner Hässlichkeit von den Menschen erfährt – allen voran von Viktor Frankenstein selbst –, verbittert es. Denn anstatt seiner Schöpfung beizustehen, verstößt der Wissenschaftler die unbedarfte Kreatur mit dem ersten, zuckenden Funken Leben, der in ihren Leib fährt.

Völlig auf sich allein gestellt wandelt es von nun an durch eine Welt, die ihm nichts als Angst, Hass und Terror zu bieten hat. "Verfluchter Schöpfer! Warum hast du ein Monster gebildet, das so abscheulich ist, dass selbst du dich angewidert von mir abgewandt hast?", klagt es Frankenstein an. Gepeinigt von Einsamkeit und der Sehnsucht nach Wärme verdirbt sein Verstand allmählich, bis sein verkümmertes Inneres zunehmend das Äußere widerspiegelt.

Das elende Wesen wendet sich schließlich mit einer ebenso finsteren wie verzweifelten Bitte an seinen Schöpfer. Es verlangt eine Gefährtin. Frankenstein geht zunächst darauf ein, bricht sein Versprechen gegenüber der Kreatur aber im letzten Moment und reißt "bebend vor Wut, das Ding, an welchem ich da arbeitete vor seinen Augen zu Stücken. Darauf stieß der Unhold im Angesichte der Zerstörung jenes Wesens, auf das er sein ganzes künftiges Daseinsglück gesetzt hatte, ein satanisches Verzweiflungs- und Rachegeheul aus – und stürzte davon."

Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Ganz nach dem Motto quid pro quo tötet das rasende Ungeheuer zuerst Frankensteins besten Freund und dann, in der Hochzeitsnacht, dessen Angetraute Elisabeth. Daraufhin macht sich der Wissenschaftler auf, den von ihm selbst heraufbeschworenen Rachedämon zu töten. Er verfolgt das Monster bis fast zum Nordpol und es kommt, wie es kommen muss: Schöpfer und Geschöpf vernichten sich am Ende gegenseitig. Frankenstein stirbt beim Versuch, die Kreatur auszulöschen. Jedes Lebenszweckes beraubt und von widersprüchlicher Trauer über das Ableben seines Erschaffers überwältigt, kündigt sein Monster an, ihm nachzufolgen und sich selbst auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Es verschwindet in "Dunkel und Ferne".

Darum ist Frankenstein noch heute ein wichtiges Werk

Was "Frankenstein oder der der moderne Prometheus" auszeichnet und noch heute abhebt vom Kanon der wie am Fließband produzierten Horror- und Gruselliteratur, ist allem voran, dass Shelley nicht über ihre Protagonisten urteilt. Das vermeintliche Monster ist zutiefst menschlich – mit all den damit einhergehenden Schwächen und Stärken. Ist bei Stephen Kings "Es", der inzestuösen Kannibalensippe aus "Wrong Turn" oder sogar "Dracula" die Einteilung zwischen Gut und Böse eine glasklare Sache, tappt mein bei Frankenstein im steten Halbdunkel der Umstände. Die späteren, abscheulichen Verbrechen des Monsters sind – ähnlich wie die des Jokers in der Verfilmung mit Joaquin Phoenix – vielleicht nicht gutzuheißen, dafür aber umso nachvollziehbarer. Frankensteins Monster ist Täter und Opfer zugleich. "Ich hatte alle Empfindung in mir ausgelöscht, allen Seelenschmerz unterdrückt, nur um mich der ganzen Wut meiner Verzweiflung hinzugeben. So ward das Übel mir zum einzigen Gut.", erklärt es gegen Ende.

Neben einem Monster, das nicht so richtig ein Monster ist, gibt es bei Shelley auch keinen strahlenden Helden, der Kraft seiner gottgegebenen, moralischen Überlegenheit stets weiß, was recht ist und was nicht. Viktor Frankenstein ist intelligent, liebevoll und zuvorkommend – aber auch überheblich, launisch und völlig naiv hinsichtlich der Tragweite seiner Handlungen. Nie stellt er sich die Frage, ob er tun sollte, was er tut, nur weil er es kann. Wie Goethes Zauberlehrling entfesselt er Kräfte, die seine Vorstellungskraft bei weitem übersteigen – und wird unter ihnen zermalmt.

Speziell dieser Aspekt von Mary Shelleys erstmals 1818 veröffentlichtem Werk hat nicht nur nichts von seiner Aktualität verloren, sondern – im Gegenteil – wohl eher noch dazugewonnen. Künstliche Intelligenz ergänzt oder ersetzt bereits jetzt in vielen Bereichen menschliche Arbeitskräfte und der Trend hat noch nicht einmal richtig angefangen. Es bleibt abzuwarten, ob AI – wie uns die Tech-Propheten weismachen wollen – ein Segen für die Menschheit sein wird oder ein Fluch. Ähnlich sieht es im Bereich der Gentechnik aus. In jedem Fall wird es davon abhängen, was die Menschheit selbst daraus macht. Bei den weltweit 12.700 nuklearen Ungeheuer, die in den Kellern der Atommächte schlummern, reicht hingegen ein Blick in die Geschichtsbücher, um zu wissen, dass wir verdammt gut daran täten, die Finger von den roten Knöpfen zu lassen. Hinsichtlich des Klimawandels haben wir unser frankensteinsches Monster bereits erweckt - und es hat seine schorfigen Hände längst um unseren Hals gelegt…

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