Fränkischer Konzertveranstalter über Corona: "Politik ist Kompass abhanden gekommen"

29.3.2021, 05:56 Uhr
Fränkischer Konzertveranstalter über Corona:

© CBF

Herr Harasim, man hatte die ganze Zeit auf "Rock im Park" geschielt. So lange die Sause auf dem Zeppelinfeld angekündigt war, so lange schien Hoffnung, dass es doch noch was wird mit einem Festivalsommer 2021. Kürzlich wurden die größten Open-Airs der Republik auf einen Schlag abgesagt, darunter "Rock im Park". Ein Dammbruch?

Peter Harasim: Klar ist das ein Dammbruch. Auch hier in der Region kann man sich darauf vorbereiten, dass im Sommer nicht viel veranstaltet werden kann. Auch bei uns sind schon die ersten Sommerfestivals abgesagt. Ich kann mir im Augenblick auch nicht vorstellen, dass wir diesen Sommer unser reichhaltiges Programm im Nürnberger Serenadenhof, das wir ein Jahr vor uns herschieben, wie geplant durchziehen können. In Gesprächen mit den Nürnberger Symphonikern hat sich ergeben, dass wir mit nur einem Drittel der Kapazität rechnen können. Obwohl uns die Hausherren damit entgegen kommen würden, rechnet sich dort dann keine Veranstaltung mehr.

Letzten Sommer gingen wir davon aus, dass 2021 das komplette Konzertjahr 2020 nachgeholt wird. Jetzt geht es zum zweiten Mal in die Verlängerung. Werden wir 2022 dann 2020 erleben?

Harasim: Ja.

Echt jetzt? Die großen Festivals werden dasselbe Programm wieder ein Jahr weiter schieben?

Harasim: Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Das "Feuertanz"-Festival und die "Pyraser Classic Rock Night", die wir veranstalten, sind ausverkauft – da bemühen wir uns natürlich, den Besuchern möglichst dasselbe Programm 2022 zu präsentieren, für das sie ursprünglich mal Karten gekauft haben. Wir sind auch sehr zuversichtlich, dass das klappt. Der Zusammenhalt aller Kulturtreibenden – auch der Künstler – ist durch die Pandemie größer geworden.

Letzten Sommer wurde mit vielen finalen Absagen gezögert. Das habe versicherungstechnische Gründe, hieß es...

Harasim: Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Veranstalter für das Jahr 2021 irgendeine Ausfallversicherung abschließen konnte. Mir ist da jedenfalls nichts bekannt. Von der Versicherung gibt es heuer kein Geld, da muss man sich anders helfen.

Zu Beginn der Plage haben die Veranstalter mantra-artig betont, dass sich Veranstaltungen nur bei Vollauslastung der Spielstätten rechnen. Ist sowas wie Ihr "Strandkorb Open Air" im Sommer dann Selbstausbeutung?

Harasim: Nein, ich glaube schon, dass sich das rechnet. Viele Künstler nehmen nicht die üblichen Gagen wie sonst. Auch einige der üblichen Kostenfaktoren, die du normalerweise bei so einem Event hast, kommen nicht im üblichen Umfang aufs Tablett. Wenn diese "Strandkorb-Reihe" gut läuft, dann bleibt da schon auch etwas Geld hängen. Das muss es aber auch. Irgendwo müssen wir ja wieder anfangen. Trotzdem: Die Verluste der bleiernen Zeit werden alle freien Kulturtreibenden noch jahrelang belasten.

Bei dem von Ihnen veranstalteten "Strandkorb Open Air" am Dutzendteich können 1400 Zuschauer Musik und Kabarett live unter freiem Himmel erleben.
Harasim: Zumindest in unserer Vorstellung ist diese Standkorb-Geschichte aktuell die einzige Möglichkeit, wie man in Pandemiezeiten gesichert veranstalten kann. Wenn es gut läuft, dann kommen wir damit genau in die Zeit, in der schon 60 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Wir wollen aber für alle veranstalten, also müssen wir auch im Sommer immer noch mit dieser Abstandhaltung arbeiten.

Was ist mit dem Vorschlag, dass zu Veranstaltungen nur darf, wer am Eingang seinen Impfpass vorzeigt?

Harasim: Komplett vom Tisch ist das sicherlich nicht, weil wir noch gar nicht wissen, wie es im Herbst weitergeht. Ich persönlich wünsche mir, dass man dann Veranstaltungen für alle machen kann, geimpft oder nicht geimpft. Ich weiß ja noch nicht mal, wann ich selbst geimpft werde und möchte trotzdem auch in ein Restaurant, in ein Theater oder auf ein Konzert dürfen. Ab dem Moment, in dem alle Menschen, die sich impfen lassen wollen, geimpft sind, muss man die Lage neu bewerten. Bis dahin ist das alles Spekulation.

Letztes Jahr war die Stimmung klar: Der Open-Air-Sommer fällt aus – sei’s drum, dann machen wir halt im Jahr darauf doppelt einen drauf. Jetzt wird das zweite Mal verschoben, und die 2019 gekauften Konzertkarten, die an der Kühlschranktür pinnen, vergilben langsam. Werden diesmal nicht mehr Menschen ihre Tickets umtauschen und ihr Geld zurück haben wollen?

Harasim: Den Eindruck habe ich gar nicht. Wir stehen ja ständig mit dem Publikum in Kontakt: Die große Welle der Depression findet immer noch nicht statt, weil die Leute so darauf hoffen, dass irgendwann ein Silberstreif am Horizont erscheint. Die Menschen haben Karten gekauft und werden ihre Künstler irgendwann auf der Bühne sehen. Daran glaube ich fest. Alles andere ist für mich nicht denkbar.

Fränkischer Konzertveranstalter über Corona:

© Foto: Maris Rietrums

Es läuft aber auch für manche Künstler die Zeit ab. Nehmen wir Deep Purple: Die haben 2020 mit "Whoosh!" ihr finales Album veröffentlicht und wollten ein letztes Mal auf Tour gehen, einen schönen Schlussstrich unter ihre Karriere ziehen und in Würde abtreten. Die Musiker sind Mitte 70, da sind zwei Sommer, in denen nix passiert, viel. Was macht das mit solchen Künstlern?

Harasim: "Jetzt erst recht!", höre ich oft. Ich buche ja Konzerte für die britische Hardrock-Band UFO. Die wollte 2020 eigentlich aufhören, aber davon ist aktuell gar keine Rede mehr. Die Musiker wollen endlich diese vielen Shows spielen! 2021 wird das nicht klappen, aber 2022 werden UFO noch einmal schön die ganze Welt abspielen. Die sind sowas von hungrig gerade. Neil Young, Bob Dylan – die werden alle nochmal auf die Bühne gehen und vielleicht noch öfters, als sie es sich jetzt gerade vorstellen können. Van Morrison ist richtig wütend, dass er nicht auftreten kann. Die Tatsache, dass wir so lange Arbeitsverbot hatten, mobilisiert ungeahnte Kräfte.

Zwei Jahre ohne Konzerte – wie verändert das die Konzertlandschaft?

Harasim: Ich merke, dass manche, die Jahrzehnte in diesem Musikbusiness gearbeitet haben, verloren gegangen sind. Die haben sich etwas anderes gesucht. Auch bei uns im Büro ist unter den Mitarbeitern der ein oder andere Abgang zu beklagen. Trotzdem glaube ich fest, dass wir irgendwann wieder eine gewisse Art von Normalität spüren. Wir sehnen uns nach Veranstaltungen, wo wir uns wieder treffen, begegnen und austauschen und wieder richtig gute Kultur erleben können.

Sie klingen sehr positiv, was mich überrascht, aber auch freut.

Harasim: Das liegt aber nicht an einer objektiven Einschätzung der Gesamtsituation, sondern ausschließlich an meinem Naturell.

Weil Sie nach einem Jahr Stillstand und Arbeitsverbot die höchste Stufe des Zen-Buddhismus erreicht haben?

Harasim: (lacht) Irgendwie schon. Was mache ich momentan? Ich hocke den ganzen Tag im Büro oder manchmal auch im Homeoffice, kaum ein Arbeitstag endet vor 22 Uhr. Dreimal in der Woche mache ich virtuelles Taekwondo-Training. Und: Ich habe mir zum ersten Mal in meinem Leben ein Fahrrad gekauft, das diesen Namen auch verdient. Mit dem mache ich an den Wochenenden die ganze Hersbrucker Schweiz unsicher. Es ist ja nicht so, dass man nicht lebt. Nicht auf dem Niveau, das man sich wünscht, aber man ist ja trotzdem nicht aus der Welt.

Trotzdem: Was ärgert Sie am meisten?

Harasim: Nachdem unsere Politik lange Zeit gut und mit Augenmaß gearbeitet hat, ist ihnen inzwischen der Kompass abhanden gekommen. Viele Entscheidungen sind nicht mehr nachvollziehbar. Ich habe eine große Aversion gegen egoistische und egomanische Querbalken. Inzwischen können aber viele positiv und klar denkende Menschen die politischen Entscheidungen nicht mehr mittragen. Bitter ist auch, dass die Kulturszene weiterhin im Unklaren gelassen wird. Das meiste von dem, was wir seit einem Jahr gearbeitet haben, war völlig für die Katz. Wenn du ein Konzert zum dritten Mal verlegen musst – und wir reden in unserem Fall von vier- bis fünfhundert Veranstaltungen, die wir seit März 2020 vor uns herschieben – dann kann man leicht eine sehr negative Einstellung kriegen. Aber wir versuchen immer noch, uns an dem hochzuziehen, was wir erreichen können. Da hilft so etwas wie das "Strandkorb Open Air". Zig Veranstalter in Deutschland haben diese Möglichkeit aber nicht.

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