Gerhard Polt und die Well-Brüder feiern 40-Jähriges

6.10.2020, 19:11 Uhr
Vier in einem Boot: Gerhard Polt (vorne) und die Wellbrüder aus’m Biermoos: Christoph, Karli und Michael Well.

© Foto: Hans-Peter Hoesl Vier in einem Boot: Gerhard Polt (vorne) und die Wellbrüder aus’m Biermoos: Christoph, Karli und Michael Well.

Getourt wird von Linderhof bis Flensburg und immer wieder auch im Ausland. In diesen vier Jahrzehnten sind sie drei Millionen Kilometer gefahren – wenn man alles zusammen rechnet, dann sind sie drei Jahre gemeinsam im Auto gehockt, Tag und Nacht. Beim Pressegespräch in München, zu dem auch Andi und Breiti von den Toten Hosen gekommen sind und irgendwo im Haus herumschwirren, gab es einiges zu erzählen.

Herr Polt, Herr Well – wie ist sie Ihnen bekommen, die große Corona-Entschleunigung?

Gerhard Polt: Ich bin in letzter Zeit kaum mehr aufgetreten, aber glücklicher Besitzer einer echt venezolanischen Hängematte. In der kann man die Zeit schwebend verbringen, das ist nicht schlecht.

Christoph "Stofferl" Well: Das ist super! Auch wir haben kaum gespielt, nur unsere "Corona Bavariae" im Internet ein wenig bestückt, damit man es nicht ganz verlernt. Bei allen Schattenseiten: Es ist wirklich ein Innehalten gewesen, eine Entschleunigung der Gesellschaft, die überfällig war.

Mitten in diese immer noch stade Zeit hinein platzt das neue Album: "40 Jahre – Gerhard Polt und die Well-Brüder".

Well: Wir haben unser letztes Programm an drei verschiedenen Orten mitgeschnitten: Einmal mit den Toten Hosen in Berlin im Admiralspalast, dann in einem Bierzelt im Oberland und in Winterbach bei Stuttgart. In Stuttgart war es ein Festivalpublikum, in Berlin waren es Berliner – also viele Exilbayern und bayerische Exilpunks. Und im Oberland war es ein Trachtenverein. Insoweit: Kein "Best Of", sondern einfach das, was wir im letzten Jahr gerne gespielt haben.

Bayern, Stuttgart, Berlin – ist dieser Dreiklang gewollt?

Polt: Eher Zufall, glaube ich.

Well: Ja. Für uns ist es doch eh immer eine Gaudi, egal wo wir auftreten. Unser Techniker hat mitgeschnitten, weil wir im Hinterkopf hatten, dass wir vielleicht eine Jubiläums-CD machen werden.

Sie sprechen fließend schwedisch, Herr Polt. Wie ist das, wenn Sie in Schweden auftreten?

Polt: Auch in Schweden gibt es – wie überall auf der Welt – Klischees, auf denen man rumreiten kann. Berühmt sind da zum Beispiel diese Smörgåsar: wunderbar belegte Brote, mit Roastbeef drauf und wasweißich. Und auf jedes von diesen Broten packen die so eine kleine schwedische Fahne. Die sind ja so fahnenvernarrt, die Schweden … Jedenfalls: Mir ist mal passiert, dass ich fünf so Brote bestelle und auf vieren ist eine Fahne und auf einem nicht. Daraufhin habe ich zu der Bedienung gesagt "Sie, entschuldigen Sie, aber auf diesem Brot hier fehlt die Fahne. Was ist damit nicht in Ordnung?" Die gute Frau ist daraufhin zu Tode erschrocken, und es half auch nichts, dass ich ihr versichert habe, dass ich das Brot auch so essen würde. Sie ist nach hinten gerannt, kam mit einer kleinen schwedischen Fahne zurück und rammte diese in das unbeflaggte Brot. Wenn du sowas erzählst, dann lachen auch die Schweden – weil es einfach komisch ist.

Ihre neue Platte erscheint bei JKP, der hauseigenen Plattenfirma der Toten Hosen.

Polt: Das hat sich so ergeben. Unser altes Label ist pleite gegangen.

Well: Irgendwie ist jede Plattenfirma und jeder Verlag, wo wir waren, pleite gegangen.

Polt: Ich hoffe, nicht wegen uns.

Well: Aber die JKPler sind angenehme Menschen. Die und die Hosen, das ist eine Firma – eine Familie.

Stimmt es, dass Sie Die Toten Hosen 1986 in Wackersdorf bei den Protesten gegen die geplante Wiederaufarbeitungsanlage kennengelernt haben?

Well: Hinter der Bühne, ja. Wir sind am selben Tag aufgetreten. Vor dem Auftritt haben wir miteinander Fußball gespielt und gleich gemerkt, dass das lustig wird. Wir kannten sie ja schon von der Geschichte mit dem "wahren Heino", allein deshalb waren sie uns schon grundsympathisch.

Polt: Ich kam erst später dazu. Die Hosen haben mich da aber schon gekannt, was ich gar nicht gewusst habe. Die kannten meine Platten und habe mich gefragt, ob wir zusammen die Nummer "Willi – ein Verlierer" für ihr "Auf dem Kreuzzug ins Glück"-Album machen.

Well: Das nächste Mal haben wir sie dann in Köln getroffen, als wir mit dem Gerhard zusammen im Schauspielhaus aufgetreten sind. Da sind die Hosen auf der Bühnenrampe gehockt (lacht). Hinterher sind wir dann noch was essen und trinken gegangen, das war saulustig. Da haben wir schnell gemerkt: Das passt einfach, die scheißen sich auch nix. Da gab es nie dieses blöde Genredenken von wegen "die machen Volksmusik, wir machen Punk". So ist das eine richtig schöne Freundschaft geworden, wie es sie unter Kollegen nicht so oft gibt.

Weil?

Well: Kollegen trifft man in der Regel nur zufällig, bei Auftritten oder auf einem Festival. Mit den Hosen haben wir uns aus Zufall nur in Wackersdorf getroffen – und sonst immer verabredet. Der Gaudi halber haben wir aus gegenseitiger Wertschätzung gesagt, dass wir mal was miteinander machen könnten. So sind diese fünf oder sechs gemeinsamen Programme entstanden. Das ist eine "Laune der Natur", um an dieser Stelle ein Hosen-Zitat unterzubringen.


Gerhard Polt durch die Jahre


Herr Well, den Fürther Nachrichten haben Sie auf die Frage "Welcher Ihrer Wünsche ist noch unerfüllt?" geantwortet: "Dass Markus Söder nicht als Ministerpräsident antritt." Das war vor zweieinhalb Jahren. Was machen wir jetzt?

Well: Jetzt kannst du nix machen. Es gibt einfach Schicksalsschläge. Aber es geht ja immer no schlimmer: Stellt Dir vor, der Scheuer wär Ministerpräsident ...

Wir wollen nicht unken, doch es steht zu befürchten, dass die Reise des Herrn Söder noch nicht zu Ende ist …

Well: Das haben wir schon prophezeit in unserer "Corona Bavariae". Natürlich wird der Markus Söder in Berlin einziehen: durchs Brandenburger Tor, auf einem Palmesel oder noch besser auf dem Rücken vom Andi Scheuer, dem Mautesel. Söder ist der bayerische Coronator! Aber klar, die Bundestagsabgeordneten nehmen natürlich den als Kanzlerkandidat, der ihnen persönlich die meisten Stimmen bringt. Mal sehen, ich bin da ganz gelassen. Dann hätten wir ihn halt in Bayern los.

Ist die AfD ein schwieriger Gegner?

Polt: Die sind für mich kein Thema. Mir ist auch der Begriff "Die AfD" zu unergiebig. Ich würde mich aber gerne mit einem einzelnen Menschen dieser Denkungsart unterhalten. Ich will wissen, was den bewegt – sein ganzes Weltbild! So einer mit einem tollen Namen wie … sagen wir Tschimkowski, der behauptet, er sei Germane und der will, dass alle Deutschen wieder Germanen sind. Sowas finde ich komisch. Oder mit einem Reichsbürger über seine Vision von Großdeutschland zu sprechen: Wie hätten wir es denn gerne – geht es bis zum Ural oder doch nur bis Omsk? Man muss solche Leute kennen, um ein Gefühl dafür zu kriegen, wie absurd und grotesk das ganze Weltbild ist.


Gerhard Polt wird 75: Eine bayerische Sehenswürdigkeit


Satire hat es gerade wieder schwierig. Nicht erst seit Lisa Eckhart müssen wir wieder darüber reden, was Kunst alles darf. Da beschleicht mich das leise Gefühl, dass Ihre "Mai Ling", Herr Polt, heute wieder einen veritablen Shitstorm ernten würde ...

Polt: Da gebe ich Ihnen recht – wahrscheinlich. Dabei hat sich Satire ja nicht verändert: Man erzählt etwas, das ganz bewusst doppelbödig konstruiert ist und so sein soll. Wenn das einer nicht versteht … naja, diese Leute gibt es. Die wird es immer geben.

Well: Aber es ist schon irre, dass die Satirefähigkeit nicht nur im rechten Lager, wo sie schon immer kümmerlich war, abnimmt, sondern auch auf der anderen Seite. Diese Abgrenzung, was politisch noch korrekt ist und was nicht, die hast du früher nicht gebraucht.

Polt: Der Fehler ist ja oft interessanter als das Korrekte. Aber ich habe das Gefühl, es ist alles etwas atemloser geworden. Ich sag nicht, dass früher alles toll war – die Wells hatten ihre lieben Probleme mit dem Bayerischen Rundfunk, ich stand — auch wenn man es kaum glaubt — bis vor einigen Jahren noch beim ZDF auf der Schwarzen Liste. Aber wenn einer was sagt, was dich stört, dann braucht es doch einen Spielraum, in dem man sich fragen kann, was einen daran stört und warum. Und ob man da selbst vielleicht etwas falsch auffasst. Aber ich fürchte, das hat mit den Sozialen Medien zu tun – und mit der Geschwindigkeit. Im Internet bist du schneller gefordert, dich zu äußern und vor allem zu entscheiden: "Dafür oder dagegen?". Schwarz oder Weiß, dazwischen gibt es nichts mehr. Das ist verhängnisvoll.

Aktuelle LP/CD: Gerhard Polt und die Well-Brüder "40 Jahre" (JKP/Warner). Live am 14. November 2020 in der Gründlachhalle in Heroldsberg.

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