Rückblick in die Historie

Großes Tamtam im Dürer-Jahr

31.5.2021, 08:17 Uhr
Der Allgegenwärtige: Dürers Konterfei am Hauptbahnhof.

© dpa, NN Der Allgegenwärtige: Dürers Konterfei am Hauptbahnhof.

Udo Jürgens war der erste Star-Gast. Schon im März 1971, als im Anbau des Nürnberger Dürerhauses noch die Handwerker wuselten, besuchte er Dürers erweitertes Wohn- und Arbeitshaus: Ein prominenter Schlagersänger als Gratulant in einem Jubeljahr, das für Nürnberg selbst zu einem Schlager werden sollte. 50 Jahre ist das jetzt her. Der 500. Geburtstag Dürers wurde damals gefeiert – richtig groß, richtig innovativ, ja auch provokativ, mit bundesweiter Ausstrahlung.

Der Handwerkerhof wurde im Dürer-Jahr eröffnet, der bis heute beliebte Trempelmarkt fand zum ersten Mal statt, das Spielzeugmuseum wurde eröffnet, das Symposium Urbanum sorgte mit seiner dezidiert modernen Kunst im öffentlichen Raum – die zum Teil bis heute steht – für hitzige Debatten. Eine echte Aufbruchzeit in Franken mit der ersten umfassenden Selbstdarstellung der wiederaufgebauten Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg.

Das Dürer-Jahr war ein Event ganz ohne Eventagentur, aber mit generalstabsmäßiger Planung durch das städtische Organisationsteam. "Bereits 1969 bekam jeder Passagier am Nürnberger Flughafen einen Lebkuchen und ein Programmheft mit der Aufforderung, doch 1971 wieder zu kommen", sagt Susanne Rieger.

Sie macht Stadtführungen in Nürnberg, hat sich jetzt in das Thema "Dürerjahr 1971" eingebuddelt und ist selbst überrascht, von dem, was sie ausgegraben hat. "Ich hatte das in dieser Dimension nicht erwartet. Das war ein unglaubliches Spektakel. Neue, sehr moderne Kulturformate wurden ausprobiert." Dass 1971 die Außenwahrnehmung Nürnbergs entscheidend verändert hat, bezweifelt sie aber: "Dazu war die Last der braunen Vergangenheit noch zu schwer."

Das Germanische Nationalmuseum stellte damals einen Rekord auf: "Es zeigte 732 Exponate, davon 385 von Dürer. Sie kamen aus aller Welt. Das hat es danach nie mehr gegeben", sagt Rieger. Das Publikum war elektrisiert: Historische Fotos zeigen Menschen am Einlass, der gestoppt werden musste.

Der Andrang war gewaltig, der Hunger nach Originalen von Dürer in seiner Heimat enorm: Zwischen dem 21. Mai, Dürers Geburtstag, und dem 1. August kamen 352 000 Besucher, ins GNM. Zum Vergleich: Bei der letzten großen Dürer-Schau 2012 waren es 282 000 - bei einem Monat längerer Ausstellungsdauer.

Auf die Werbeaktion am Flughafen folgte ab Ostern 1970 eine nationale Werbekampagne, unter anderem im Spiegel. "Deutschlands erster Hippie – ein Nürnberger?" lautete der Slogan. Oder: "Dürers Eva. Für 1507 ganz schön sexy!"

Nicht alle goutierten den locker-flockigen Ton im Umgang mit dem Alten Meister. Aber er traf den Nerv der Leser. Denn die wurden in der Anzeige aufgefordert, der Stadt zu antworten, wie sie den Geburtstag des Künstlers feiern soll, damit er oder sie, also der Leser oder die Leserin, dafür anreist. Lieber feierlich ernst oder kritisch-aktuell?

"Es kam viel Rücklauf", sagt Rieger. Heute wohl undenkbar. Die Leute schickten den Abschnitt ausgefüllt zurück. Und Nürnberg machte sich auf den Weg einer zwar auch feierlich-ernsten, aber eben auch pfiffig-kritischen Auseinandersetzung mit seinem größten Sohn.

Wunderwerk oder Zumutung?

Der absolute Renner war die Multimedia-Show "Noricama". Diese zwölfminütige Vermittlung von Nürnbergs Historie, präsentiert in der Kaiserstallung auf der Burg, war damals etwas ganz und gar Neues, extrem modern. Eine eher assoziative denn chronologische Stadtgeschichte in Bild-Ton-Collage.

Das spaltete die Gemüter: Die "Noricama" wurde als "technisches Wunderwerk" von den Fans in den Himmel gelobt. Andere fühlten sich durch dieses "Chaos an Bildern" vor den Kopf gestoßen und empfanden es – wie sich in Leserbriefen nachlesen lässt – als "Zumutung".

Geschulte Hostessen

Für den freundlichen Umgang mit zornigen, mürrischen Besuchern waren die Hostessen geschult: Junge Frauen, adrett eingekleidet in schwarz-roten Kostümen, entworfen vom Oberdesigner der Quelle, Heinz Oestergaard. 40 Damen wurden für das Dürer-Jahr ausgewählt – aus 139 Bewerberinnen.

"Ich habe mit einer der Hostessen von damals gesprochen", sagt Rieger. Sie wurden ein halbes Jahr lang in Erster Hilfe ebenso geschult wie in Dürers Biografie, dem Lenken der Besucherströme im GNM und im Umgang mit unzufriedenen internationalen Gästen. Fünf Mark Stundenlohn gab es dafür.

Apropos Geld: 6,6 Millionen Mark, so hat Rieger recherchiert, investierte die Stadt Nürnberg in den 500. Geburtstag von Dürer. Nationale und internationale Aufmerksamkeit war dabei eines der Ziele. Früh schon erkannte man durch Umfragen aber auch: Selbst die Nürnberger sind nicht wirklich sattelfest, was ihren Dürer angeht. Also fuhr man zweigleisig: international und regional.

Die lokale Bevölkerung durfte mitbestimmen, wo welche Motive plakatiert wurden. "Mehr als 4200 Bürger haben abgestimmt", sagt Rieger. Und bei einem Quiz haben mehr als 6000 Teilnehmer mitgemacht. Zu gewinnen gab es eine goldene und eine silberne Dürer-Nadel. Schön für die Sieger. Peinlich für die Stadt. Denn natürlich passierten im Jubeljahr auch Pannen.

Post aus München

Eine betraf eben jenen Wettbewerb, wie Rieger berichtet. "Der Brief, in dem der OB den Teilnehmern das Ergebnis mitgeteilt hat, wurde im Postzentrum Oberschleißheim abgestempelt." Eigentlich, so erklärt sie, sollte dort nur alles vorbereitet und dann nach Nürnberg gebracht werden. Aber dann waren die Briefe auf dem Weg – mit Münchner Poststempel, der die Stadt der weltbekannten Biere pries. Gar nicht gut.

Gar nicht gut fand auch die Jury den Beitrag des Nürnberger Künstlers Toni Burghart zum ausgelobten Kunstwettbewerb. Die sieben ausgewählten Teilnehmer sollten sich auf Dürers Spuren durch die Landschaft machen. Relativ unverfänglich eigentlich.

Einer hielt sich nicht dran. Toni Burghart zeigte den Sinwellturm als Penis ("Nürnbergs Größter") und die Burgsilhouette mit Zitrone und Davidstern ("Nürnberg sauer"). Ein Skandal. Burghart wurde disqualifiziert.

Die besten Devotionalien

Der damalige Nürnberger Kulturreferent Hermann Glaser, einer der Väter des Dürer-Jahres, vermittelte. "Es gab dann tatsächlich in der Nürnberger Kunsthalle eine extra Ausstellung mit den abgelehnten Arbeiten", sagt Rieger. Burghart, der es außerdem gewagt hatte, Dürer für einen Plakatentwurf als Cockerspaniel darzustellen, saß dann auch in der Jury zur Prämierung der besten Dürer-Devotionalien.

Die Bürger waren aufgerufen, sie einzureichen. Die Sieger: Auf Platz eins die betenden Hände auf Bibel als Nachttischlampe. Auf Platz zwei die Limonade "Albrecht Dürer Perle", dahinter "Dürer zum Anbeißen" als Schoko-Medaillon.

Dürers Locke, angereist aus Wien, war eine der absoluten Sensationen. 1971 wurde aber auch das Dürerhaus für 500.000 Mark um seinen Neubau erweitert. Von außen ein wenig ansprechendes Gebäude, das eher an eine Garage, denn an einen Hort der Hochkultur denken lässt. Aber viele taten es Udo Jürgens nach: Allein in den ersten sechs Monaten nach der Eröffnung kamen 143.651 Besucher.
Infos zu den Führungen zum "Dürerjahr 1971" unter http://transiturs.de

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