„Ich möchte ein Statement abgeben !“

8.11.2016, 09:00 Uhr
„Ich möchte ein Statement abgeben !“

© Foto: Andreas Amann

Montagmorgen, grauer Himmel, der Spiralblock liegt neben mir auf dem Tisch – klingt nach einem typischen Schultag, oder? Das ist es auch, nur nicht für mich. Denn wenn ich meinen Sessel von dem blank polierten Holztisch zurückschiebe, blicke ich direkt auf das Regierungsviertel von Berlin. Für drei Tage darf ich als Chefredakteurin in der Redaktion des Planspiels „Zukunftsdialog“ der SPD-Fraktion im Bundestag arbeiten.

Vor ein paar Wochen noch hätte ich nie gedacht, dass ich überhaupt einmal hier landen würde. Und jetzt throne ich mit meinem Bürostuhl über Berlin – für einen Moment gelingt es mir fast, diese Vorstellung als wahr anzusehen. Doch zum Glück werde ich noch rechtzeitig aus meinen Tagträumen gerissen: „Diese Anträge bringen mich ins Grab“, stöhnt mein Kollege Johannes, der eben zur Tür hereinkommt. Er recherchiert in der Arbeitsgruppe „Bildung und Forschung“ und hat sich ähnliche Sätze inzwischen als Grußformeln angeeignet.

Denn auch in der Politik gibt es einen Alltag. Bei den Abgeordneten des Planspiels besteht dieser daraus: Anträge formulieren und über die Fomulierungen diskutieren. Dabei stößt der eine oder andere auch mal an seine Grenzen. Ein wutschnaubendes Verlassen von Sitzungen irritiert hier inzwischen niemanden mehr.

Klar, denn die meisten Jugendlichen, die hier in die Rollen von Abgeordneten schlüpfen, haben große Pläne und Ziele. Da gibt es natürlich Protest, wenn die Auszählung der Stimmen für einen Antrag zur Stellung eines Antrags beantragt wird.

Hitzige Debatten

Mir gefällt es, die hitzigen Debatten rund um die Frauenquote, die Sicherung von Kita-Plätzen oder die Reform unseres Schulsystems mitzuverfolgen. Und gleichzeitig lehne ich mich gelassen in meinen Stuhl zurück. Als Journalist darf man Beobachter sein.

Leider ist die Diskussion irgendwann zu mitreißend, um teilnahmslos zuzusehen: Ich möchte auch endlich ein Statement abgeben! Meinen Kollegen geht es offenbar ähnlich, denn plötzlich überfluten Kommentare und allerhand Artikel mit sarkastischem Unterton den polierten Holztisch.

Die Redaktion hat Feuer gefangen – und wird schnell ernüchtert. Denn mit zwölf Seiten eigener Meinung würde unserer Zeitung das Wertungsfreie fehlen. Doch bevor auch unsere Stimmung zu kippen droht, naht die tägliche Beruhigungsdosis: Ein Korb voller Butterbrezeln besänftigt uns – ob das bei den Bundestagsabgeordneten im Haus nebenan wohl auch klappt?

Es ist Sitzungswoche in Berlin, und hin und wieder erhasche ich einen Blick auf namhafte Politiker. Wie die aussehen? Ganz normal wie gewöhnliche Leute. Diese Feststellung gefällt mir, denn ich habe das Gefühl, dass in der Regierung wirklich Menschen sitzen. Menschen, die schon auf demselben Stuhl saßen wie ich jetzt.

Ich höre das angeregte Tippen neben mir. Seufzend mache ich mich wieder an die Arbeit – bis morgen muss die Zeitung Struktur bekommen. Mein Blick fällt dabei auf die riesige Glasfront unseres Raumes. Der Bundestag ist zweifellos ein beeindruckendes Gebäude. Doch Charakter bekommt er erst durch die Menschen, die darin arbeiten.

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