Körperhaare

Immer mehr Frauen legen den Rasierer aus der Hand

22.6.2021, 15:31 Uhr
Manche Frauen stehen zu Haaren unter den Achseln oder an den Beinen. 

© imago images/Zinkevych Manche Frauen stehen zu Haaren unter den Achseln oder an den Beinen. 

Körperhaare entfernt man am besten abends. Bei Sonnenbrand ist Enthaaren tabu. Am schnellsten ist der Rasierer unter der Dusche. Für chemische Depilation bitte einen Spachtel bereithalten. Für Wachs und elektrische Pinzette lieber was zum Draufbeißen. Die Ratschläge, die Birgit Huber vom Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel (IKW) zu Beginn der Kurzklamotten-Saison gibt, sind weithin akzeptiert: "Haare am Körper? Nein, Danke!" titelt eine Umfrage, laut derer 90 Prozent der Frauen und 60 Prozent der Männer dem Haarwuchs "eine deutliche Absage erteilen." Der Trend, so die Macher der Studie im Auftrag der IKW, laute zudem "jung und haarlos": Je jünger der Mensch, desto glatter aalt er sich durchs Leben. Es wird rasiert, gezupft und geschäumt – nur zwei Prozent der Befragten 18- bis 29-Jährigen lassen wachsen statt zu wachsen.

Doch während sich die Industrie ihre Prophezeiungen selbst zurechtlegt und die westliche Gesellschaft in ein Heer aus glatten Beinen, blanken Achseln, Brüsten und luftiger Bikinizone verwandelt, regt sich weiblicher Widerstand: #pithairdontcare, #hairywomanaresexy heißen die Schlachtrufe von meist jungen Frauen, die die ewige Glätterei nicht mehr mitmachen wollen. Die Instagram-Kampagne #januhairy ruft seit einigen Jahren im besagten Wintermonat dazu auf, die Gunst der Winter-Woll-Stunde zum eigenen Fellwuchs auszunutzen – eine Idee, die nicht nur vielen Frauen zu einem ersten Kennenlernen mit ihrem eigenen Körperhaar verhilft, sondern zumeist mit einsetzendem T-Shirt- und Rock-Wetter ein jähes Ende findet. Unrasiert in Freibad oder Arbeit, Straßenbahn oder Biergarten – das muss frau erstmal aushalten.


#Januhairy: Warum sich Frauen für einen Monat nicht rasieren


Eine, die das tut, ist Jenny. Jenny, die eigentlich anders heißt, ist groß, sie trägt die Frisur kurz, die Hosenbeine auch. Auf Jennys Beinen glitzern Haare in der Frühlingssonne. Jenny ist 27 Jahre und nach langer Suche die einzige, die bereit ist zum Gespräch. Sie will keine Vorreiterin sein, sondern normal, "kein ungewöhnliches Phänomen", sondern in ihrer Selbstbestimmung akzeptiert. Will keine Gesellschaft umstürzen, sondern "dass alles legitim ist, so, wie man das selbst möchte".

Weder Hardcore-Emanze noch Barbiepuppe

Jenny mochte lange Zeit Haare nur auf dem Kopf. Gesellschaftliche Norm, sagt sie, "der Druck, das gehört sich so", der auch im jugendlichen Gruppengefüge nicht hinterfragt worden ist. Dafür verspürt sie ein Rechtfertigungsgefühl, wenn mal nicht alles ganz glatt läuft. Mit Anfang 20 hatte sie das Bedürfnis zu überlegen: Wie selbstbestimmt bin ich eigentlich?

Einem Schönheitsideal unterworfen fühlt sich die Sozialpädagogin, der es wichtig ist zu betonen, dass "Frauen, die sich nicht rasieren, nicht automatisch Hardcore-Emanzen sind", sondern selbstbewusst tradierte Rollen hinterfragen, die von Barbiepuppe zu Barbiepuppe weitergegeben werden, anstatt die Chance zu erhalten, selbst auszuprobieren: Wie fühle ich mich wohl?

Denn während für Jungs und Männer alle möglichen Varianten Pelz zu tragen erlaubt sind, lösen behaarte Frauenkörper schwere Gewitter aus – Shitstorms, um genau zu sein. Dabei ist es eigentlich die Rasur, die medizinisch-biologisch erklärungsbedürftig ist: Haare haben einen Sinn, bieten Schutz vor Sonne oder Bakterien. Viele Frauen leiden unter Entzündungen. Und nehmen sie in Kauf, um dem Ideal zu entsprechen. "Ich hatte immer Juckreiz an den Beinen", sagt Jenny, und dass dies erst mit dem Nicht-Rasieren ausblieb. Wie auch die Schmährufe. "Zum ersten Mal nach drei Jahren mache ich mir in diesem Sommer keine Gedanken darüber, wie meine behaarten Beine wohl wirken." Sie erzählt, dass es Blicke gab, aber keine Reaktionen. Dass die Freundinnen sie mutig finden. Dass die Kinder und Jugendlichen, mit denen sie beruflich zu tun hat, sie sehen, aber nicht ansprechen. "Ich hab da kein feministisches Ziel – keine politische Agenda", meint Jenny. "Aber den Wunsch, dass bestimmte Mechanismen aufgebrochen werden – und wir alle freier."


Übergewicht in der Werbung: Zwischen Jubel und Kritik


Es ist nur eine kleine Szene hier in der Region, die sich mit dem Thema konfrontiert, aber "es werden immer mehr, vor vier Jahren gab es da noch weniger." In der Zeit ist viel passiert in Sachen "Body Positivity", sind Kunst und junge soziale Medien wie Instagram und Tiktok voller Themen, die man bis vor Kurzem noch tunlichst für sich behielt, sprechen Frauen über Menstruation und, ja, färben sich die Achselhaare zum Regenbogen.

"Ich glaube, dass man dadurch Menschen anregt, gesellschaftliche als auch eigene Denkmuster zu hinterfragen", sagt Jenny. Mit einem Tabu erst anecken und es damit präsent machen. "Nur so stößt man ein Umdenken an und dadurch den Weg in eine offenere Gesellschaft." Jennys Augen glitzern in der Sonne. Ihre feinen Haare auch.

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