Genervt vom Wortgeklingel

Impfgipfel? Coronagipfel? G7-Gipfel? Politik, beib mal am Boden!

26.7.2021, 15:32 Uhr
Beim G7 Treffen in Cornwall war natürlich auch Kanzlerin Angela Merkel (hier im Bild mit ihrem Mann Joachim Sauer) dabei.

© imago images/UPI Photo Beim G7 Treffen in Cornwall war natürlich auch Kanzlerin Angela Merkel (hier im Bild mit ihrem Mann Joachim Sauer) dabei.

Gipfel - das sind hohe Felsen, Schweiß auf der Stirn, reine Luft, Glücksgefühle, ein klarer Geist. "Ueber allen Gipfeln ist Ruh', In allen Wipfeln spürest Du Kaum einen Hauch; Die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur! Balde Ruhest Du auch", schrieb Goethe 1780 an die Wand einer Jagdhütte in Thüringen, ergriffen vom Abendlicht. Das waren noch Zeiten!

Heutzutage gibt es ganz andere Gipfel, überall in Deutschland, da hilft nicht mal mehr eine Panoramakarte weiter: Coronagipfel, Digitalgipfel, Datenschutzgipfel, Autogipfel, Buttergipfel, Klimagipfel, Impfgipfel. Fehlt nur noch der Schul- und Kitagipfel. Bei all diesen schwindelerregenden Seven Summits blickt aber ja niemand mehr durch. Ähnlich wie auf dem Bergtableau, wo sich Hunderte Wanderer auf die Füße treten und die peinliche Frage stellen: "Zwischen Corona-Gipfel, zweitem bayerischem Impfgipfel da hinten und Spitzentreff in Genf liegt was nochmal? G 7 oder G 8?" Oh, Himmel, hilf!

Politiker ohne Höhenangst

In gefühlt immer kürzeren Abständen erklimmen unsere Politiker derzeit Höhe um Höhe. Diplomatie und Diskussionen werden immer gleich ganz oben angesiedelt. Konferenzen, Treffen oder der Runde Tisch genügen offenbar nicht mehr (um mal am Boden zu bleiben). Aber die Dauerbesteigung des Hochgebirges durch politisches Personal ist mittlerweile mindestens so nervig wie die Massen an Bergwanderern rund um München am Wochenende.

"Denn inflationär eingesetzte Wörter entfalten keine Wirkung mehr, sind wenig überzeugend und kaum glaubwürdig", hat der Heidelberger Sprachwissenschaftler Ekkehard Felder über das Modewort "spannend" gesagt. Das gleiche trifft inzwischen auf die vielen Bergtouren zwischen Berlin und Brüssel zu: Je öfter das Wort "Gipfeltreffen" gebraucht wird, desto mehr wird es entwertet. Ähnlich wie der Kilimandscharo, auf den inzwischen Kreti und Pleti mit Sauerstoffflaschen kraxeln, um Müll und mehr zu hinterlassen.

Zumal mancher Volksvertreter schon vom heiligen Berg ohne große Erkenntnis herunterstieg, anders als Moses vom Sinai: Der chaotische Coronagipfel, von dem aus die Kanzlerin die kurze Osterruhe verkündete, war so ein Fall. Wäre sie doch nach sieben Stunden Pause besser im Biwak geblieben.

Auch die bayerischen Impfgipfel, bei denen Ärzte, Apotheker und Mitarbeiter aus Impfzentren völlig zu Recht zusammensitzen, könnten einfach nur "Runde Tische" heißen, warum nicht? Oder zeitlich etwas zurück, gab es fünf Diesel-Gipfel in Folge: "Kann man verstehen, was Andreas Scheuer nach dem Gipfel sagen wollte ?", titelte die Bild-Zeitung treffend. Je höher die Berge, desto tiefer eben auch die Täler.

Käsplatte wäre passender

Dabei ist die Metapher des Gipfeltreffens oder der Gipfelkonferenz, kurz Gipfel, gut. Schon lange vor unserer Zeit, bereits in der Antike, gab es dieses Mittel der Politik. Herrscher und Führende setzten sich zusammen, um Wichtiges zu verhandeln. Das hat sich bis heute nicht groß geändert: Die Mächtigen begegnen sich, folgen einem ausgehandelten Protokoll, und sprechen entscheidende Konflikte an. Manchmal kommt etwas Wegweisendes heraus, meist ein Kompromiss. Bis dahin ist es oft ein harter, steiniger Weg – was wiederum für das Wort Gipfel spräche.

Neben den Inhalten ist Inszenierung alles. Wir erinnern uns: Der G7-Gipfel in Cornwall kürzlich – schöne Fotos vom Strand. Obama und Merkel einträchtig vor Bergkulisse auf Schloss Ellmau. Oder der G8-Gipfel in Heiligendamm im Grand Hotel, wo die Staatschefs im riesigen Strandkorb hockten, hinter einem ebenso riesigen Zaun.

Gipfeltreffen haben einen Symbolwert, sie wecken hohe Erwartungen. In der Realität gleichen manche jedoch eher Nebengipfeln, Graterhebungen oder Kuppen. Sie hätten deshalb echte Namen wie Wildes Männle, Käsplatte, Misthaufen oder Kleiner Daumen verdient. Der Sinn solcher Höhepunkte, die Millionen an Euros verschlingen, erschließt sich zumindest längst nicht mehr jedem Bürger. Deshalb: Ein bisschen mehr Bescheidenheit, bitte. Oder wie Seneca sagt: "Was du für den Gipfel hältst, ist nur eine Stufe." Auch und gerade, weil Gipfel so ein wunderbares Wort ist. Die zwei Silben sagen so viel. Per Definition bedeuten sie: "ein Punkt der Oberfläche der Alpen, welcher sich mit einem gewissen Höhenunterschied von der umliegenden Fläche abhebt". In den Gedanken des Bergsteigers sind sie jedoch ganz besondere, majestätische Orte, an denen man sich selbst, das Leben und die Natur erfahren kann, eine Folie für den Wunsch nach Einsamkeit und Abgeschiedenheit.

In der Sprachwissenschaft gilt der Gipfel hingegen als Wort wie jedes andere. "Modewörter folgen einem ökonomischen Prinzip, sie sind kurz und knackig", erklärt Ronja Walter von der Gesellschaft für deutsche Sprache. "Oder haben Sie Lust, ständig 'Konferenz führender Politikerinnen und Politiker zu sagen'?" Laut Duden Verlag kommen außerdem "Welle" und "Lockerungen" derzeit weit häufiger vor. Dennoch: Der Superlativ wird einfach überstrapaziert: Wer verbindet mit dem Hundertsten Gipfelgespräch schließlich noch klares Denken und Handeln? Das wäre ja fast so, als würde man einen überlaufenen Wanderberg als einsames Gipfelerlebnis verkaufen wollen.

Vielleicht sollten Politiker und PR-Strategen sich deshalb einfach wieder an den Aussagen von Alpinisten wie Reinhold Messner orientieren, die wissen, worüber sie reden und das mit Respekt: "Die Spitze des Berges ist nur ein Umkehrpunkt", hat der Südtiroler Bergsteiger wenig ergreifend gesagt.

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