In den Laboren der Unschärfe

13.8.2020, 19:07 Uhr
In den Laboren der Unschärfe

© Foto: Michael Jordan

Als New York wegen der Corona-Pandemie im März die Lichter löschte, kam der Comic-Künstler Michael Jordan mit einem der letzten Flugzeuge vor allen Reisebeschränkungen gerade noch zurück die Heimat.

Er stammt aus Erlangen, er hat in Fürth gelebt und für die Wochenzeitung "Die Zeit" als Gerichtszeichner gearbeitet, und auch für unser "Wochenmagazin" hat er schon humoristisch gezeichnet. International sind seine Arbeiten längst bekannt. Als die Seuche im Frühjahr über die USA kam, erfüllte Jordan einen Lehrauftrag am Middlebury College, Vermont.

In den Laboren der Unschärfe

© Foto: Michael Jordan

Der Künstler beschreibt den Rückflug als ziemlich kafkaeskes Erlebnis. Ein wenig hat er sich gefühlt wie die Hauptfiguren seiner Bildergeschichten. Die leben in surrealen, in sich geschlossenen Welten. Im letzten Jahr haben die Besucher der Kunstgalerie Fürth eine Ahnung von diesen Welten bekommen, als Michael Jordan dort zusammen mit der Gruppe Tonto aus der Steiermark Arbeiten zeigte.

In diesen Tagen erscheint im federführenden Avant Verlag ein neues Buch von ihm: "Warum wir müde sind", eine Graphic Novel, vielleicht auch drei Kurzgeschichten, die ineinander greifen. Während des Erlanger Poetenfests (27. bis 30. August) präsentiert das Erlanger Stadtmuseum im ersten Stock die Originalzeichnungen zu diesem Buch.

Am 27. August um 21 Uhr liest der Autor im Garten des Kulturzentrums E-Werk aus "Warum wir müde sind". Robert Lepenik macht Musik dazu. "Warum wir müde sind" erzählt eine sehr melancholische Geschichte.

Michael Jordan sagt, dass sie aus Einzelbildern erst allmählich zur Erzählung zusammengeflossen ist. Es ist eine Geschichte von Verseuchung und Gesundheitsdiktatur – entstanden lange, bevor Corona kam. Und doch wirkt sie aktuell wie ein Kommentar dazu.

Die männliche Hauptfigur – in ihren Umrissen angelehnt an frühe Illustrationen aus dem 20. Jahrhundert – bricht zunächst in eine abgeriegelte, möglicherweise verseuchte Zone ein. Er hat ein Suchgerät dabei. Er dringt vor in geheimnisvoll organische Höhlensysteme. Später irrt er durch eine ruinöse Stadtlandschaft auf dem Weg zu einer Gesundheitsbehörde, die gleichzeitig Labor zu sein scheint. Der Protagonist ist auch Versuchsobjekt und ein Verlorener in labyrinthischen Gängen.

Inhaltlich sowie in ihrer Gestaltung setzt die Geschichte auf Unschärfe und Verbindungen zu Traum und Trauma. Immer wieder stellt Michael Jordan einer real gestalteten Seite deren "Unschärferelation" gegenüber (um einen Ausdruck aus der Quantenphysik zu gebrauchen).

Zerschnittene Seiten

Da ist die Seite dann zerschnitten, zerlegt, aus Streifen neu collagiert. Das erinnert an Werke des tschechischen Künstlers Jiri Kolar. Jordan konfrontiert uns damit, dass es keine Eindeutigkeiten und Gewissheiten in der Welt gibt.

Durch die Präsenz des Virus haben wir genau diese Erfahrung gerade gemacht. Durch Urlaub am Strand oder in den Bergen versuchen wir nun, sie zu verdrängen. "Warum wir müde sind" erinnert uns an die Vergeblichkeit dieses Tuns.

Michael Jordan: Warum wir müde sind. Graphic Novel. Avant Verlag, 104 Seiten, 22 Euro.

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