Insider zu Kulturhauptstadt-Wirbel: "Zweifel an Verfahren"

13.12.2020, 06:00 Uhr
Insider zu Kulturhauptstadt-Wirbel:

© Foto: Darko Bandic

Herr Fuchs, halten Sie das Verfahren zur Vergabe des Europäischen Kulturhauptstadt-Titels für transparent und nachvollziehbar?

Nur bedingt. Ich habe schon länger Kritik an diesem Verfahren. Die wesentlichen Schwachpunkte sind mangelnde Transparenz und mangelnde Kommunikation. Wer ist Juror? Wie kommt man in die Jury? Wie läuft das Verfahren ab? Das alles müsste man sehr viel deutlicher kommunizieren.

Viele befremdet auch die Geheimhaltung, zu der die Städte verdonnert wurden. Nichts, aber auch gar nichts durften sie über ihre Präsentationen vor der Jury verlautbaren. Warum?

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Es gibt meiner Meinung nach keinen Grund für diese Restriktionen. Die Jury hat nichts zu verbergen. Sie könnte aus meiner Sicht auch Interviewanfragen beantworten. Auch da kann ich die Kritik nachvollziehen.

Wenn Sie die Kritik nachvollziehen können, würden Sie dann den von Ihnen im Deutschlandfunk Kultur angestellten Vergleich von Nürnbergs Kulturbürgermeisterin Julia Lehner mit Donald Trump als schlechte Verlierer so stehen lassen und wiederholen?

Nein, weil Frau Lehner sich dadurch beleidigt fühlte. Das ist übrigens ein interessanter Vorgang, dass man sich durch den Vergleich mit einem amtierenden amerikanischen Präsidenten angegriffen fühlt. Aber das spricht für Frau Lehner und gegen Herrn Trump. Der Umgang mit einer Niederlage ist ein schmerzhafter psychologischer Prozess. Und dann ist es eben sehr erleichternd, wenn jemand sagt, es waren die Berater oder vermeintlich korrupte Jurymitglieder.

Vernichtender Report: Warum Nürnberg nicht Kulturhauptstadt wurde

Apropos Berater: Wenn man sich mit dem System Kulturhauptstadt beschäftigt, fällt auf, dass immer dieselben Berater unterwegs sind und meistens erfolgreich. Heißt das, nur wer sie engagiert, kann gewinnen?

Nein. Aber auf dem europäischen Markt der erfolgreichen Kulturhauptstadt-Expertinnen und -Experten gibt es eben nur eine überschaubare Zahl, vielleicht 20 bis 30 Leute. Natürlich kennen sich viele aus einer gemeinsamen Zusammenarbeit. Wenn man, so wie ich zum Beispiel, für die Kulturhauptstadt Marseille-Provence als Programmdirektor verantwortlich war, dann lernt man alle Leute kennen, die mit dem Thema befasst sind, auch Kollegen aus ehemaligen Kulturhauptstädten und Bewerberstädten. Insofern ist der Begriff von einer "Familie" gar nicht so verkehrt. Man kann ihn positiv verstehen oder ausschließlich negativ und suggerieren, es handele sich um ein Korruptions-Kartell, das da zugange ist. Das kann ich aber mit gutem Wissen und Gewissen verneinen.

Wenn Sie selbst schon das intransparente Verfahren bemängeln, hatten Sie dann nicht erwartet, dass jetzt Kritik kommt?

Nein, ich habe das so nicht erwartet. Aber ich habe erwartet, dass es für die vier unterlegenen Städte schwierig wird, die Niederlage zu verkraften. Obwohl alle wussten, ihre Chancen sind nur bei 20 Prozent. Wer die Hitze in der Küche nicht mag, der darf nicht Koch werden.

Und die Intransparenz nicht kritisieren?

Was jetzt an Erklärungen für die Niederlage im Raum steht, ist doch Folgendes: Es waren nicht wir, sondern die anderen. Es waren korrupte Jurymitglieder, es waren korrupte Berater. In der Psychologie nennt man das eine Projektion. Das passiert allerdings nicht nur in Nürnberg, sondern auch in Hannover.

Warum haben in den vergangenen Jahren nur vergleichsweise kleinere Städte den Titel der Kulturhauptstadt gewonnen?

Weil relativ kleine Länder, zum Beispiel Österreich und Estland, an der Reihe waren. Es ist zwar möglich, dass man wie Luxemburg zweimal Kulturhauptstadt wird. Aber das ist doch die große Ausnahme. Zweiter Grund ist: Kleinere Städte im ländlichen Bereich fühlen sich oft abgehängt und kritisieren, dass alles auf die urbanen Zentren hinausläuft. Nach über 40 Jahren ist es ein normaler Gang der Dinge, dass es nach großen Städten jetzt immer kleinere werden.

Je kleiner eine Stadt, desto weniger Expertise und Personal-Ressourcen hat sie in den eigenen Reihen. Desto stärker ist sie also auch auf die erfolgreichen Berater angewiesen. Könnte auch das ein Grund dafür sein, dass in den vergangenen Jahren nur vergleichsweise kleine Städte gewählt wurden?

Ja, möglicherweise ist das so. Was das Verhältnis von Beratern und Eigenkapazität betrifft, ist meine feste Überzeugung, dass Berater von außen keinesfalls den Prozess ersetzen können, den eine Stadt machen muss, wenn sie Kulturhauptstadt werden will. Es braucht ein gesundes Verhältnis zwischen Eigendynamik und Sicht von außen. Keine der deutschen Bewerberstädte hat sich übrigens ausschließlich auf Beratung von außen verlassen.

Sie selbst haben im Auftrag der Kulturstiftung der Länder als unabhängiger Coach Workshops für alle deutschen Bewerberstädte gegeben. Im ersten Chemnitzer Bewerbungsbuch stehen Sie im Impressum. Ist das kein Interessenskonflikt?

Nein. Die Verabredung mit der Kulturstiftung war Folgende: Ich leite in Berlin die Workshops mit jeweils zwei Vertreten aus allen Bewerberstädten. Gleichzeitig war Teil der Verabredung, dass mich alle Städte zu bestimmten Themen anfragen und einladen können. Deswegen war ich in allen Städten außer in Zittau. Das wussten immer alle von allen.

Ihre Frau ist im ersten Chemnitzer Bewerbungsbuch als Mitglied des Kuratoriums genannt. Auch das kein Interessenskonflikt?

Schon bevor wir geheiratet haben, hatte meine Frau ein eigenes Kulturberatungs-Unternehmen. Das ist vielleicht vergleichbar wie bei Arztehepaaren. Der eine ist Spezialist für Zähne, die andere für Augen. Wenn ich Sie als Zahnart behandele und Sie fragen mich nach einem Augenarzt, dann empfehle ich Ihnen vielleicht meine Frau. Das ist doch nicht korrupt!

Die Länder, die Europas Kulturhauptstadt stellen, stehen bis zum Jahr 2033 fest. Haben Sie Zweifel, dass es Kulturhauptstädte danach noch geben wird?

Ich habe an den jetzigen Verfahren Zweifel: Zwei Länder auf der Liste für jedes Jahr. Ich glaube nicht, dass man das ad infinitum weiterbetreiben kann. Man muss das überdenken. Wer soll denn noch kandidieren in Österreich, auf Malta oder auf Zypern?

Was also tun?

Nachdenken darüber, ob es unbedingt eine Stadt sein muss und nicht eher beispielsweise eine Metropole oder eine Region. Muss es außerdem eine Länderliste geben, auf der alle 27 im festen Rhythmus wechseln? Die alten EU-Mitgliedsländer waren schon alle drei oder vier Mal dran. Da gerät man in Flächenstaaten wie Deutschland, Frankreich oder Polen nicht an die Grenzen, aber in kleineren schon. Auch eine thematische Ausschreibung wäre überlegenswert.

Im Interview mit unserer Zeitung hat das ehemalige Jurymitglied Gottfried Wagner kürzlich gesagt, er glaube, dass es in der Jury schon vor der Entscheidung eine Sympathie für Chemnitz gab. Glauben Sie das auch?

Nein. Wenn Chemnitz keine gute Bewerbung abgegeben hätte, hätte die Stadt nicht gewonnen. Es ist absurd zu glauben, dass selbst wenn ein Jurymitglied sich von Anfang an im Herzen für Chemnitz erwärmt hätte, das den Ausschlag gegeben hat. Es waren ja elf andere dabei, die auch was zu sagen haben und vielleicht nicht bekannt sind mit dem Chemnitzer Berater Mattijs Maussen.

Die Entscheidung für Chemnitz fiel also erst am Vormittag des 28. Oktober?

Ja. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.

Und Chemnitz hat dann in vier Stunden ein großes Feuerwerk auf die Beine gestellt? Das legt für manchen den Schluss nahe, die Stadt hätte gewusst, dass sie es wird.

Entweder hätten sie das Feuerwerk trotzdem gemacht nach dem Motto: Wir waren im Finale! Oder sie hätten es wieder abgebaut. Zu unterstellen, dass Chemnitz wusste, dass es den Titel bekommt, ist aus meiner Sicht eine hanebüchene Verschwörungstheorie.

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