Packender Polit-Thriller

"Je suis Karl" führt in die hippe Welt der neuen Rechtsradikalen

15.9.2021, 19:35 Uhr
Charismatisch, rhetorisch gewieft - und brandgefährlich: Jannis Niewöhner als Karl, der deutsche Anführer der paneuropäischen Bewegung "Re/Generation".

© Pandora Film/Michaela Hermina, NN Charismatisch, rhetorisch gewieft - und brandgefährlich: Jannis Niewöhner als Karl, der deutsche Anführer der paneuropäischen Bewegung "Re/Generation".

Dass die Meinungen über den Film derart gespalten sind, dürfte daran liegen, dass Regisseur Christian Schwochow und Drehbuchautor Thomas Wendrich ihr hochbrisantes Thema radikal zu Ende denken. Hoffen wir, dass die beiden, die schon bei der TV-Trilogie „Mitten in Deutschland: NSU“ zusammenarbeiteten, mit ihrer finalen Fiktion falsch liegen.

Gewiss nicht falsch liegen sie in ihrer Beschreibung der neuen rechtsextremen Netzwerke, die nicht mehr aus tumben Glatzköpfen in Springerstiefeln bestehen, sondern aus hippen jungen Influencern, die genau wissen, wie sie sich in den sozialen Medien inszenieren müssen, um ihre Botschaften zu verbreiten.

In die Fänge dieser Szene gerät Maxi (Luna Wedler), nachdem ihre Mutter und ihre zwei kleinen Brüder bei einem Terroranschlag ums Leben gekommen sind. Der Vater Alex (Milan Peschel) hat selbst das Paket mit der Bombe, das ein Bote im Hausflur für die Nachbarin bei ihm abgab, in die Wohnung getragen. Maxi und Alex überleben, weil sie noch einmal kurz draußen waren.

Falsche Fährte

In den Medien wird ein islamistischer Anschlag vermutet. Dass die falsche Fährte gezielt gelegt wurde, sieht man in einer Rückblende, die das Attentat aus anderer Perspektive zeigt. Für die beiden Überlebenden spielen die Hintergründe keine Rolle. Der Vater zieht sich in seine Trauer zurück und wird von den eigenen Schuldvorwürfen zerfressen. Bei ihm findet Maxi keinen Trost, wohl aber bei dem Studenten Karl (Jannis Niewöhner), der sie vor den Paparazzi rettet, die ihr auflauern, als sie sich zu dem zerstörten Haus wagt.


Karl ist charmant und hilfsbereit. Er lädt Maxi ein, ihn in die Sommerakademie der Bewegung „Re/Generation“ in Prag zu begleiten, bei der sich die europäische Jugend trifft, um über die Zukunft zu diskutieren. Schon die Parolen auf der Internetseite müssten Maxi misstrauisch machen: „Wir sind das neue Europa. Wir erklären euch den Krieg“, steht dort zu lesen.

Karl (Jannis Niewöhner) begegnet Maxi (Luna Wedler) als Retter in großer Not. Sie verliebt sich in ihn, er führt anderes im Schilde.

Karl (Jannis Niewöhner) begegnet Maxi (Luna Wedler) als Retter in großer Not. Sie verliebt sich in ihn, er führt anderes im Schilde. © © Copyright Pandora Film/Sammy Hart, NN

Doch die traumatisierte Frau ist viel zu verstört, um hellhörig zu werden. Als die wie ein Star gefeierte Musikerin Jitka in Prag vor laufender Kamera erzählt, wie sie von zwei Afghanen vergewaltigt wurde, ist Maxi bestürzt. Kurz darauf gesteht ihr Jitka, das sei erfunden, aber es gäbe eben viele Frauen, denen das passiere und die nicht darüber reden könnten. Maxi widerspricht auch da nicht, will nicht sehen, wie hier mit Lügen gegen Ausländer gehetzt wird.


Stattdessen lässt sie sich von der hippen Stimmung im Camp und den coolen Partys, bei denen zu Techno- Beats unverhohlen zum Umsturz aufgerufen wird, mitreißen. Und merkt nicht, wie Karl, in den sie sich natürlich verliebt hat, sie als Opfer eines angeblich islamistischen Anschlags für seine Zwecke missbraucht.

Auch wenn das alles etwas plakativ gezeichnet ist, gelingt „Je suis Karl“ ein sehr präzises Porträt der international vernetzten identitären Bewegung und der Strategien, mit denen sie ihr rassistisches und antiislamisches Gedankengut geschickt verpackt verbreitet. Schwochow und Wendrich nehmen die Gefahr ernst, die von der Neuen Rechten droht, statt sie – wie es die liberale Mehrheitsgesellschaft auch hierzulande gerne mit der AfD tut – zu marginalisieren, bestenfalls vor ihnen zu warnen, wenn die eigenen Wählerstimmen bröckeln.


Todesstrafe für Araber


Maxi fragt Karl nur einmal, „Wer seid ihr wirklich?“. Da hat er ihr gerade erklärt, warum man für kriminelle Araber die Todesstrafe einführen sollte. Der perfiden Argumentation des gewieften Manipulators hat sie nichts entgegenzusetzen. In Straßburg, wohin beide reisen, um eine identitäre Politikerin zu unterstützen, steht Maxi schließlich selbst auf der Bühne und klagt die Regierung an: Sie habe das Risiko gekannt, aber nichts unternommen, um den Anschlag zu verhindern. Das Video von ihrem Auftritt geht sofort viral.

Danach lassen Karl und seine Mitkämpfer die Situation gezielt eskalieren. Das Kriegsszenario, in das der Film mündet, mag eine allzu düstere Fiktion sein. Auch dass es der Libyer Yusuf ist, der mit Maxis Vater nach Straßburg fährt und beide vor dem Mob in Sicherheit bringt, wirkt etwas pflichtschuldig. Vorstellbar aber ist der Angriff auf das System längst. Das hat zuletzt die Erstürmung des Capitols in Washington gezeigt. „Je suis Karl“ dreht die Schraube nur ein bisschen weiter. (126. Min.)

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