Theater-Kritik

"Jedermann" mit Lars Eidinger: Näher war uns der Tod selten

20.7.2021, 10:56 Uhr
Mit vollem Körpereinsatz: Lars Eidinger (in rot) als "Jedermann" in dem gleichnamigen Dauerbrenner von Hugo von Hofmannsthal bei den Salzburger Festspielen.

© Barbara Gindl Mit vollem Körpereinsatz: Lars Eidinger (in rot) als "Jedermann" in dem gleichnamigen Dauerbrenner von Hugo von Hofmannsthal bei den Salzburger Festspielen.

Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes gerät – ohne die namentliche Erwähnung der Seuche – in (post-)pandemischen Zeiten zum Gleichnis für uns alle: näher war uns der Tod selten, und wenn Jedermann da vorne auf der Bühne seinen Ruf hört, wenn er schachert um ein lächerlich bisschen Aufschub, verzweifelt ankämpft gegen das frühe Aus, dann ist das ein Mensch unserer dramatischen Zeit.

Helmut Qualtingers Kollapso-Version mit den garstigen Worten "…gemma bisserl sterben", die immer irgendwie mitswingt, wenn man Hugo von Hofmannsthals Dauerbrenner sieht, macht einen kollektiven Sinn, denn Freund Hein ist zum Weggefährten geworden, ob wir wollen oder nicht. Wir sind Jedermann.

Zum Auftakt der Festspiele rauscht die Salzach wie ein entfesselter Wildbach und droht über die Ufer zu treten. Der Dauerregen vertreibt das Spiel vom Domplatz ins Festspielhaus. Was der Sache immer etwas von der Atmosphäre nimmt, die man hier einzigartig nennt und weshalb das schlichte Drama sich seit hundert Jahren als publikumswirksames und lukratives Volks-Spektakel bewährt. Die Corona-Einschränkungen dann sind kaum spürbar: das Salzburger Modell, das die Festspiele schon im vergangenen Jahr nur mäßig eingeschränkt ermöglichte, hat sich längst eingespielt. Im Saal gelten keinerlei Abstandsregeln mehr, die Masken fallen von den Gesichtern. Und so sieht man, dass die ernst blieben. Denn selten nur gibt es in Michael Sturmingers Neuinszenierung Grund, die Miene zu einem Lächeln zu verziehen, kaum ein Verschnaufen und Schwelgen in ausgelassenen Bilderreigen, das üppig Barocke bröckelt und übrig bleibt eine triste, ärmlich dekorierte Szenerie wie am Abend kurz vor dem Weltuntergang. Selten also war ein "Jedermann" so verbissen darauf angelegt, die Moll-Stimmung bis zum letzten Atemzug des armen reichen Mannes konsequent aufrecht zu erhalten. Da liegt er dann in den Armen des Todes: ein Bild von einer Pieta, so ergreifend wie eins zu eins abgekupfert von Michelangelo.

Eidinger als Jammermann

Keine Fallhöhen mehr in dieser Deutung. Lars Eidinger als neuer "Jedermann" kommt schon als Verlorener auf die Bühne. In roten Unterhosen mag ihn das Leben nicht mehr freuen, Protz und Prunk sind seine Sache nicht, den Reichtum schleppt er widerwillig in einem Blecheimer mit herum, als käme er vom Kohlenholen. Und Eidinger, der so wunderbar mit und in Shakespeares Sprache leben kann, mit den Wörtern tanzt, sich die Sätze auch körperlich untertan macht ohne deren Sinn zu verbergen, scheint von den Hofmannsthalschen Versen wie geknebelt. Er findet keinen Ausweg aus dem Reimzwang, das Knittelige und Holprige hemmt den ganzen Schauspieler, der sich schließlich ergibt und im nur noch traurigen, weinerlichen Tonfall den Jammermann zeigt.

Niemand ist da, der oder die ihn aus der Misere rettet. Die Tischgesellschaft mag nicht so recht in Fahrt kommen, die Vettern (Gustav Peter Wöhler und Tino Hillebrand) albern nur herum, den Schuldknecht bringt er in einem Zeitlupen-Boxkampf zur Strecke, die guten Werke wuseln wie Kaulquappen, der Glaube (Kathleen Morgeneyer) ist schwanger, der Teufel (Mavie Hörbiger) ein kecker Pumuckl – Minuten-Figuren, nur hingetuscht wie Beiwerk. Die Mutter (Angela Winkler) schließlich greint Jedermann mit seiner Endzeitplage voll und als er ihr erzählt, dass er ja eine Liebste habe, klingt das auch weniger nach Leidenschaft als nach angeschafftem Leid. Tatsächlich ist die Buhlschaft dann auch nicht unbedingt fähig, "Jedermann" aus dem Seelentief zu befreien.

Auf Verena Altenberger in dieser Paraderolle hat das Salzburger Publikum in diesem Jahr wohl am gespanntesten gewartet. Dass sie das Klischee nicht erfüllen würde, war schon im Vorfeld klar: kein Prachtweib mit Wallemähne und Nobelrobe war auf Fotos zu sehen, sondern ein frecher Alltagsmensch mit radikalem Kurzhaarschnitt. Altenberger kommt in einer Art rotem Arbeitsanzug mit ewiger Schleppe, in der sie "Jedermann" sich verheddern lässt: keine Sekunde ist der reiche Mann dieser taffen Frau gewachsen, die nur wie zum erotischen Zeitvertreib ein wenig mit ihm spielt, im wortlosen Abschiedstanz das eigene Leben feiert und über den fremden Tod triumphiert.

Der nun ist eine Sie. Die große Edith Clever wechselte von der Mutter-Rolle ins Kostüm des endgültigen Vollstreckers (das im Schattenspiel leider irgendwie komisch immer an Batman erinnert). Wer sich an Peter Lohmeyer als grausig klapprigen Boandlkramer gewöhnt hatte, sieht nun eine würdige Gestalt im schwarzen und dann weißen Gewand, die mit sanften letzten Worten Respekt einfordert. Clever ist ein Tod, der anrührt, einer, der zwar ungelegen, dennoch mit gutem Grund kommt.

Im fünften Jahr hat Michael Sturminger jetzt das Erfolgsstück inszeniert. Seine Neudeutung ist dabei nicht mehr als die Reduzierung der vergangenen Arbeiten. Er hat den barocken Ballast abgeworfen und dem nackten, hilflosen, schuldigen reichen Mann die karge Bühne frei gemacht. Man kann das auch Rückbesinnung auf den Kern des Stückes nennen.

Dabei ist er Gefahr gelaufen, der Heilsbotschaft am Ende nicht mehr zu misstrauen, sondern hat sie mit seiner Interpretation, die der etwas plumpen religiösen Heimholung, wie der katholische Dichter sie festgeschrieben hat, entspricht, zentral in den Mittelpunkt gestellt. Dass wir alle in finsteren Zeiten leben, hat nach zwei Stunden, die bei der Premiere bejubelt wurden, jedermann und -frau kapiert.

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