Joan Baez: «Man kann die Welt verändern«

10.2.2010, 00:00 Uhr
Joan Baez: «Man kann die Welt verändern«

© Gsänger

Frau Baez, Ihr Leben ist wie ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch. Haben Sie das Gefühl, dass Sie Geschichte gelebt haben?

Joan Baez:
Es ist wirklich viel passiert. Wenn ich mir die neue DVD-Biografie anschaue, bin ich hinterher ganz erschöpft. Aber ich habe meinem Engagement nicht mein Leben geopfert. Im Gegenteil: Ich wurde geboren, um genau das zu tun.Und ich habe es mit ganzer Leidenschaft getan.

Ihre aktuelle CD hat gar nichts Zurückblickendes. Das sagt schon der Titel «Day After Tomorrow«, also Übermorgen...

Baez:
Eigentlich versuche ich immer, in der Gegenwart auf dem Laufenden zu bleiben. Allein das ist schon gar nicht so leicht. Bei Vergangenheit und Zukunft bin ich eher eine Tagträumerin. Musikalisch möchte ich immer die Zukunft im Blick haben. Natürlich spiele ich ältere Songs, von denen ich weiß, dass die Leute sie hören wollen. Aber ich versuche, sie neu und interessant zu gestalten und ihnen eine gewisse Frische zu bewahren.

Sie haben viele Nostalgiker im Publikum?

Baez:
Ja. Und das ist schade, denn so eine Haltung schränkt die Menschen ein. Nicht nur bei einem Konzert, sondern im ganzen Leben. Sie wollen zurück in die Vergangenheit fliehen, weil ihnen ihre Gegenwart nicht interessant genug erscheint. Das hält sie davon ab, im Hier und Jetzt etwas zu unternehmen. Sie sagen: Wir wollen zurück in die Sechziger, da hatten wir noch Spaß, da war die Musik noch gut, da war das Leben noch interessant. Dabei könnten sie auch heute etwas tun, um die Welt zu verändern. Sie spüren es nur nicht.

Ist da ein Zwang zum stetigen Engagement?

Baez:
Ich habe überhaupt kein schlechtes Gewissen, wenn ich mich mal nicht engagiere. Im Moment kümmere ich mich um meine 96 Jahre alte Mutter, die bei mir im Haus lebt. Ich möchte auch mit meinem Sohn zusammen sein und mit meiner Enkeltochter. Das sind jetzt die wirklich wichtigen Dinge in meinem Leben.

Und dieser Rückzug ins Private wird akzeptiert?

Baez:
Wenn ich mit Leuten darüber rede, was mir heute wichtig ist, erkennen sie durchaus, dass man nicht alles, was im Leben wirklich zählt, auf ein Plakat schreiben und auf der Straße hin und her tragen kann. Man muss den Weg gehen, auf den einen sein Herz führt. Ohne Wenn und Aber. Das ist meine Überzeugung.

Sie sind in den Sechzigern an der Seite von Dr. Martin Luther King marschiert, um in den USA mehr Bürgerrechte durchzusetzen. Er nannte Sie voller Respekt «Sister Joan«.

Baez:
Ich hatte das große Glück, ihn oft auch privat zu erleben. Wir hingen zusammen rum, würde man heute sagen. Er hatte einen großartigen, ansteckenden Humor. Den hat er in der Öffentlichkeit nie gezeigt. Aber wenn wir unter uns waren, er und ich und Jesse Jackson und ein paar andere, dann war er unglaublich witzig. Diese Lach-Orgien gehören zu den wunderbarsten Momenten meines Lebens. Er lachte so hingebungsvoll wie er betete. Es war eine absolut außergewöhnliche Zeit.

Sie haben Barack Obama im Präsidentschaftswahlkampf aktiv unterstützt. Wie würden Sie die politische Lage momentan beschreiben?

Baez:
Es ist, als hätte ein Blitz eingeschlagen und das Land zerteilt. Obama ist so intelligent, dass es eine Gegenreaktion geben musste von Leuten, die nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Das hat die dümmsten Facetten des Konservativismus nach oben gespült, diese Sarah-Palin-Mentalität, die überall um sich greift.

Wo ist denn der ganze Schwung aus dem Wahlkampf hingekommen?

Baez:
Ich denke, dass die Menschen erkennen: Wenn Obama sagt «Wir müssen uns ändern«, dann meint dieses «Wir« wirklich jeden von uns. Dazu sind viele noch nicht bereit. Und die, die sich nicht ändern wollen, sind so laut geworden. Die machen ihm die Hölle heiß. Die Progressiven und die Liberalen haben dem nichts entgegenzusetzen. Man muss diesen Anfeindungen aber mit ebenbürtiger Härte entgegentreten. Alles andere reicht nicht.

Aktuelle DVD mit CD: Joan Baez, «How Sweet the Sound« (Rough Trade); Restkarten für das Nürnberger Konzert unter Tel.: 0911/2162298; am 19. März tritt Joan Baez in der Regensburger Donau-Arena auf.