Kritik an Gema: Kneipen in Nürnberg willkürlich berechnet?

21.11.2015, 17:00 Uhr
Wenn in Kneipen und Bars landauf, landab Musik läuft, ist das schön für die Besucher — für die Betreiber aber neuerdings oft teuer.

© dpa Wenn in Kneipen und Bars landauf, landab Musik läuft, ist das schön für die Besucher — für die Betreiber aber neuerdings oft teuer.

„95 Dezibel?“ sagt Thomas Stingl, „das würde ich in meinem Alter gar nicht mehr aushalten.“ Und trotzdem ist genau das der Wert, mit dem die „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ (Gema) begründet, dass Stingl mit der „Blume von Hawaii“ in Nürnberg eine sogenannte Erlebnisgastronomie betreibt – und entsprechend mehr zahlen soll. Damit ist er nicht der einzige Barbetreiber, der derzeit mit Mitteln konfrontiert wird, von denen man nicht recht weiß, ob sie nicht vielleicht als „unlauter“ bezeichnet werden dürfen. „Drah‘ di net um, der Gema-Kommissar geht um!“

Die Gema, erklärt Gaby Schilcher, Fachreferentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Institution mit Sitz in München, sorge „für eine angemessene Vergütung der Urheber für öffentliche Nutzung.“ So weit, so gut. Wer künstlerisch arbeitet, weiß, wie schnell andere dabei sind mit einem „kannste nich eben für mich“ und „ich darf doch sicher“. Aber sowohl hinter Fotos als auch Texten und Musik steht Arbeit, die vergütet werden muss. Dass das auch geschieht, darüber wacht die Gema: Komponisten und andere Kreative melden sich an, die Gema macht den Rest.

Nun ist es aber so, dass Musikverwertung nicht gleich Musikverwertung ist – die Tarife der Gema, in die die Nutzer eingestuft werden, sind eine Tabellenlandschaft aus Raumgrößen, Öffnungstagen, Eintrittsgeldern und verschiedensten anderen Kriterien, anhand derer bestimmt wird, wer was zu zahlen hat. Eines dieser Kriterien ist „Musik als stilbildendes Merkmal“ oder, wie Schilcher sagt: „Würden die Gäste noch genau so kommen, wenn es gar keine Musik gäbe?“ Zu theoretisch? Zu unübersichtlich?

Stattliche Tariferhöhung

„Lautstärke als Kriterium. Das gibt’s doch gar nicht!“, lautet die spontane Reaktion von Christin Wenke, zum Thema befragte Gema-Mitarbeiterin. Das ist insofern spannend, als sich derzeit in der hiesigen Barlandschaft verschiedenste Gastronomen mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, sie seien nicht einfach eine Kneipe, in der die übliche Hintergrundmusik dudelt, sondern eine Musikkneipe oder gar Erlebnisgastronomie. Konsequenz: Tariferhöhung von 22 auf 77 Euro monatlich.

„Ich würde das selbstverständlich zahlen“, sagt Thomas Stingl, „aber völlig falsch eingestuft zu werden, das sehe ich nicht ein.“ Und er berichtet, es sei in seiner Abwesenheit ein sogenannter externer Kundenberater in der Bar gewesen, der angeblich die Lautstärke gemessen habe, zu einem Ergebnis von 95 Dezibel gekommen sei und daraus die Tarifänderung erwirkt habe. „Ich habe weder einen Zeugen für die Messung noch ein Protokoll, noch ist man meiner Bitte nachgekommen, die Messung zu wiederholen.“ 

Kein Einzelfall

Was ist jetzt das mit der Lautstärke? Das sei im Tarif nachlesbar, sagt Schilcher. Dass das nicht der Fall ist, scheint die Gema-Mitarbeiterin dann selbst zu merken und versieht ihre Email mit der Anmerkung, „Dezibelmessungen dienen den Kundenberatern nur als Argumentationshilfe gegenüber den Kunden“. In der Parameterübersicht, die der externe Mitarbeiter zu Rate zieht, um zu entscheiden, ob er eine „Musikkneipe“ oder eine „Gastronomie mit Hintergrundmusik“ vor sich hat, gilt es für erstere sechs Kriterien zu erfüllen, für letztere gleich mal das Doppelte.

„Ich habe mal den ganzen Abend mitgemessen, maximal 90 Dezibel wurden erreicht – in unmittelbarer Nähe meines 2000 Watt-Mixers“, sagt Stingl, und dass er wohl kaum diverse Auszeichnungen erhalten hätte für seine Bar, die sich nicht zuletzt auf „angenehm leise Musik“ beziehen, wenn er „in Wahrheit eine Partybar“ betreibe.

So weit, so gut. Ein Einzelfall? Von wegen. Hört man sich um, erfährt man von weiteren Kneipenbetreibern exakt das gleiche: Ob „Willich“ oder „Kater Murr“ in Nürnberg, der immerselbe Kundenberater habe die Bar zuweilen außerhalb des laufenden Betriebs aufgesucht, in Abwesenheit der Wirte eine Messung durchgeführt und mit dem erreichten Wert von 95 Dezibel den bereits vorausgefüllten Neuvertrag vorgelegt. Oder: Entsprechende Facebook-Seiten auf (vergangene) Veranstaltungen gescannt und dann Nachzahlungen im teils vierstelligen Bereich verlangt – sobald eine wie auch immer geartete Veranstaltung beworben wird, handelt es sich laut Gema nämlich um ein Event.

„Der Betreiber verkauft ja auch mehr Bier, wenn mehr Gäste kommen“, sagt Schilcher. Es bestünde aber „keine böse Absicht“, man mache ja auch nur einen Job. Wie besagter Kundenberater? Der nämlich hat „Auftrag, Musiknutzungen festzustellen und den Kunden über die Tarifkriterien zu informieren und die Musiknutzung entsprechend zu lizenzieren“. Und: „Ein Vertragsabschluss wirkt sich auf die Vergütung der Dienstleister aus.“ Heißt: Wo ein Neuvertrag, da eine Provision.

„Wenn wir herausfinden, dass ein Mitarbeiter Dinge erfindet, dann gibt es Ärger“, versichert Gaby Schilcher und rät: „Wer Zweifel hat an der Richtigkeit der Einstufung, und sich ungerecht behandelt fühlt, der sollte bei der Bezirksdirektion der Gema anrufen und den Sachverhalt klären.“

4 Kommentare