Die deutsche Schlagerqueen ist zurück

Kunst oder Kalenderspruch? Wie sich Helene Fischers neues Album "Rausch" anhört

15.10.2021, 15:34 Uhr
Helene Fischer performt für das Album "Rausch" auf der Bühne.

© Sandra Ludewig/Universal Music/dpa Helene Fischer performt für das Album "Rausch" auf der Bühne.

Genies und Unbedarfte teilen sich eine Sache: Ihre Kunst lässt sich nicht greifen. Nun mögen sich die Geister auch beim achten Studioalbum "Rausch" von Helene Fischer streiten, zu welcher Seite sie gehört. Unbestritten bleibt, dass kaum jemand so unnahbar und gleichzeitig herzlich wie die 37-Jährige erscheint. Ist die Entertainerin Helene Fischer nur eine Projektionsfläche? Viel zu einfach gedacht.

Autobiografisches Werk

Dass Helene Fischer als Entertainerin und Sängerin durchaus mehr als nur "Atemlos" ist, hatte sie einst mit ihrer Version des Disney-Hits "Lass jetzt los" bewiesen. Was könnte sie für eine Künstlerin sein, wenn ihr jemand nur den passenden Bombast in den Sound schreibt! Das passierte jedoch leider auch für "Rausch" wieder einmal nicht.

Das Cover des Albums "Rausch", es erscheint am 15.10.2021 über Universal Music.

Das Cover des Albums "Rausch", es erscheint am 15.10.2021 über Universal Music. © Universal Music/dpa

Am Donnerstagabend gab es den großen Livestream auf YouTube und TikTok mit Helene Fischer, um die Welt auf ihr neues Album vorzubereiten. Da saß sie, diszipliniert und anständig, in einem unschuldig weißen Pullover. Und erzählte, dass das ja alles sowieso sehr paradox mit dem Titel "Rausch" sei.

Im Interview mit der Deutschen Presse Agentur führte sie aus: "Rausch hat für mich persönlich wenig mit Enthemmung zu tun. Mein Rausch ist eine ganz besondere Form der Geistes- und Sinneswahrnehmung." Es sei ein Gefühl der absoluten Klarheit und als Glücksgefühl der spirituellen Art wahrzunehmen. "Es sind spezielle Momente des Lebens, wenn sich eine neue Tür öffnet und alles möglich zu sein scheint." Zusammengefasst: Hier wird mit dem Bauch und nicht mit dem Kopf entschieden. Was auch wieder alles und nichts sagt.

Von ihrem neuen Album gibt es – da waren wohl weder Bauch noch Kopf entscheidungsfreudig – gleich zwei Varianten. Die Standardausführung kommt mit 18 Songs daher, die Deluxe-Ausgabe mit 24 Songs. Zu großen Teilen besteht "Rausch", egal in welcher Variante, aus dem bekannten Popschlager. Ein Song wie "Vamos a Marte" ist so komplett kaputtproduziert, dass er einfach nur noch Brei ist. Der Text tut sein Übrigens: "Du liest meinen Körper, keine Wörter können beschreiben, was ich mit Dir fühle." Allerdings sei der Hinweis erlaubt: Wer sich durch die englischsprachige Popmusik übersetzt, wird feststellen, dass dies alles gar nicht so weit voneinander entfernt ist.

Überhaupt: Es geht ja nicht um große Poesie, sondern stimmige Wörter für den Sound. (Somit passt es wieder.) Und dann steht da so ein Song wie "Spiele" mit einem charmanten Refrain, einem modernen Beat und stimmigen Aufbau. Großer Pop eben. Oder "Null auf 100", die wohl einzig gute Variante des Popschlagers überhaupt.

Stadionschlager mit Pathos

Aber was ist das alles nun? Ein großes Album? Bestandsaufnahme der deutschen Seelenlandschaft? In die Zeilen der Entertainerin Helene Fischer lässt sich viel lesen. Nur ist dies eine Kunstfigur, die sich zu großen Teilen in kalenderspruchartigen Songs äußert. Was sie bei vielen Leuten so beliebt macht. Und ihr andere Leute vorwerfen. Schlussendlich funktioniert "Rausch" einfach. Nichts ist ein großes Rätsel auf diesem Album. Oder in seiner Banalität doch. Denn zu jeder Zeile findet sich eine Interpretation, die fast so nichtssagend wie die Zeile selbst ist. Jede erotische Doppeldeutigkeit ist so ausbuchstabiert, dass sie gerade keinen Anstoß finden wird. Eine Spannung, so weit wie möglich von einer Entladung entfernt. Und zur Not wird einfach auf den Takt geklatscht. Adorno wäre es ein Grauen.

Doch es ist natürlich Teil der deutschen Seele, sich ständig zu beschweren – und sei es nur über Helene Fischer. Ihr Sound ist, was er ist: Stadionschlager mit Pathos ohne Höhen und Tiefen. Wer das nicht überwinden kann, sollte sich einfach an "Lass jetzt los" von ihr halten. Und für die ganzen Schlagzeilen zu ihrer Person kann eine Entertainer wenig, die sich sonst so gut es geht aus der Öffentlichkeit rauszieht.

Konfrontiert mit einem Stapel Heften der Klatschpresse, sagte Helene Fischer am Donnerstagabend: "Ich verstehe die Leute, die genervt sind von diesem ständigen Helene-Fischer-Hype." Nahbarer wurde sie an diesem Abend wohl nicht.

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