NN-Kunstpreisträger

Leicht wie die Liebe: Im Reich von Clemens Heinl und seinen Figuren

17.8.2021, 16:38 Uhr
Clemens Heinl schultert eine seiner neuen Skulpturen, die gerade entstehen.

© Michael Matejka, NNZ Clemens Heinl schultert eine seiner neuen Skulpturen, die gerade entstehen.

Alte Indianer und Badende mit Schwimmflügeln, nackte Frauen und seriöse Anzugträger: Eine illustre Gruppe ist da unter dem Glasdach einer ehemaligen Gärtnerei in Roth versammelt. Die Typen sind aus Holz, ziemlich schwergewichtig und oft lebensgroß. Wo früher Pflanzen wuchsen, gedeiht nun die Kunst von Clemens Heinl.

Der Bildhauer ist mit seinem Showroom und der Werkstatt kürzlich von Schwabach weggezogen, worüber man in seiner Heimatstadt "not amused" war. Schließlich hat er einen Namen in der Region und ist ein Aushängeschild, vielfach prämiert und bundesweit unterwegs.

Beim Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten hat er in diesem Jahr den zweiten Preis erhalten und erobert mit seinen schwebenden Figuren "Paolo" und "Francesca" derzeit die Herzen der Ausstellungsbesucher.

Ein leichtes Liebespaar

Mit dem Liebespaar aus Dantes "Göttlicher Komödie" geht Heinl, der Holzbildhauer, neue Wege. So neue Wege, dass die jüngsten "Geschwister" von Paolo und Francesca noch gar nicht im Showroom, sondern noch in der Werkstatt ums Eck, also in Arbeit sind. Das Besondere daran: Sie wirken optisch wie schwere Bronzefiguren und sind doch federleicht.

Mit einer Hand schultert Heinl locker einen der Brüder von Paolo und erklärt die Herstellungsweise: Aus einer Art Styropor sägt und formt er zunächst die Figuren, überzieht sie mit einer Kunststoff-Knetmasse, bestäubt sie dann mit Bronzepulver und patiniert sie mit Schwefelleber. "Daraus werden Stinkbomben gemacht", erklärt er und bietet dem Besucher eine kurze Riechprobe in den Eimer.

Mit Material, das zum Himmel stinkt, wagt er sich hoch hinaus: Weil die Arbeiten solche Leichtgewichte sind, kann er sie ganz anderes präsentieren, als man Skulpturen gemeinhin begegnet: hoch droben an der Decke hängend und nicht fest am Boden verankert.

Angezogen wie ein Magnet

"Mit den neuen Materialien kann ich ganz anders arbeiten", sagt Heinl. Das heißt: Seinen Figuren sehr viel mehr ausladende Bewegung, Rotation und Dynamik verleihen als bei den Holzkameraden, die er aus dicken Stämmen wuchtet und dabei durch das Material naturgemäß limitiert ist.

Außerdem, meint der 62-Jährige, werde er ja auch nicht jünger. Da sei diese neue, weniger kräftezehrende Technik eine mit Zukunft. Eine pragmatische Haltung, die ihm da zu eigen ist. Und die seinen ganzen Lebensweg kennzeichnet.

Gelernter Orthopädiemechaniker

Die Kunst hat ihn schon immer angezogen "wie ein Magnet", sagt er. Schon im Kindesalter hat er mit Begeisterung modelliert und sich gefragt, wie die Nase in ein Gesicht kommt, Aktzeichnungen hat er anhand von Tarzan-Heftchen geübt. Als 15-Jähriger dann stand er vor der Frage: Schriftsetzer werden oder Orthopädiemechaniker? Vor diese beiden Alternativen hatte ihn seine Mutter gestellt.

"Orthopädiemechaniker klang nach Medizin und Arzt und gut", meint er. Die Wahl war getroffen. Er lernt Prothesen zu machen und Einlagen anzufertigen. "Das war ein anderer Planet für mich", meint er. Aber eben einer nah am Menschen, nah an der Figur.

Gezeichnet hat er – neben seinem Job in der Orthopädiemechanik - immer weiter. Einen befreundeten Grafiker hat er immer wieder zu Rate gezogen und zu Kritiken genötigt. "Du nervst", beschied der irgendwann dem Freund und riet ihm: "Geh zum Professor, der wird dir sagen, ob die Sachen was taugen."

Vorsprechen beim Professor

Er sprach also bei dem Malerei-Professor Günter Vogelsamer an der Nürnberger Kunstakademie vor. Der war recht angetan von Heinls Bewerbungsmappe. "Bei der praktischen Prüfung bin ich dann aber durchgefallen", sagt er. Völlig überfordert sei er gewesen.

Machte aber nichts. Denn im Kontakt mit der fremden Welt der Kunstakademie wurde ihm gleichzeitig klar, dass es nicht Zeichnung und Malerei war, was er machen wollte, sondern Bildhauerei.

Wilhelm Uhlig, damals Professor für Bildhauerei an der Kunstakademie, nahm ihn als Studenten in seine Klasse auf. Ihn konnte Heinl dazu aber nicht mit Skulpturen überzeugen, sondern mit seinen Zeichnungen, die so ungemein plastisch wirkten.

"Außer Prothesen hatte ich zu dem Zeitpunkt ja auch noch nie eine Figur gemacht", meint er rückblickend. Aber er hatte Talent und Willen und Leidenschaft. Und früh Erfolg.

Früher Wettbewerb-Gewinn

Bereits im zweiten Semester gewann er einen Wettbewerb für ein Holzrelief in der Kirche in Pretzdorf. Was ihm ziemliches "Muffensausen" bescherte. Sein Minimodell hatte die Jury überzeugt. Danach ein ein Quadratmeter großes Werk zu realisieren, war aber eine echte Herausforderung für den Studenten.

Er hat sie bewältigt und hütet noch heute in seinem Lager das Modell von einst. Daneben stapeln sich die diversen Ausstellungskataloge, die im Laufe seiner über 30-jährigen Tätigkeit als freischaffender Künstler entstanden sind. "Ich konnte mich schon während des Studiums mit meiner Kunst finanzieren", sagt er.

An der arbeitet er fleißig und kontinuierlich. Täglich fährt er die zwölf Kilometer von seinem Zuhause in Schwabach ins Atelier nach Roth. "Nach zehn Jahren als Orthopädiemechaniker sitzt so ein Arbeitsrhythmus", meint er.

Seinen Holzfiguren ringt er dann mit Muse und zupackender Kraft Charakter und Individualität ab. Mit der Kettensäge. Die wenigsten seiner Holzgeschöpfe sind "Fantasiemenschen", sondern Porträts von "echten" Menschen.

"Abstraktion ist der Anfang"

Dem Menschen ist Heinl in seiner Kunst immer treu geblieben. Das wird auch so bleiben. Mit abstrakter Kunst hat er seine Probleme und auch eine einleuchtende Erklärung dafür: Wenn er sich zeichnerisch einer Persönlichkeit nähere, dann über Abstraktion.

Er erfasst die Proportionen, das Wesen, die Haltung. "Die Abstraktion ist für mich der Anfang. Warum soll ich am Anfang aufhören? Dann mache ich lieber Prothesen!"

Ausstellung zum Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten bis zum 5. September im Kunsthaus Nürnberg, Königstr. 93, Di-So. 10-18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr. Katalog 15 Euro, Eintritt frei. Es dürfen nur 40 Besucher gleichzeitig in die Ausstellung. Wer eventuelle Wartezeiten vermeiden möchte, meldet sich unter Tel.: 0911/231 4000 an

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