"Licht und Leinwand" im Germanischen Nationalmuseum

9.5.2018, 10:50 Uhr
Ein Haufen Selbstdarsteller: Die Selbstporträts der Maler blicken in der Schau auf die "Selfies" ihrer Fotografenkollegen des 19. Jahrhunderts.

© Foto: Eduard Weigert Ein Haufen Selbstdarsteller: Die Selbstporträts der Maler blicken in der Schau auf die "Selfies" ihrer Fotografenkollegen des 19. Jahrhunderts.

Dass sich Einzelkinder mit der Konkurrenz von Nachzüglern schwer tun, ist bekannt. Warum sollte das im Jugendzimmer der Kunstgeschichte anders sein? Die Aufregung war groß, im Jahr 1839, als in Paris erstmals die "Daguerreotypie" vorgestellt wurde. Rasch öffneten sich dieser fotografischen Technik, benannt nach dem Erfinder Louis Daguerre, Tür und Tor und es trieb Malern und Bildhauern den Angstschweiß auf die Stirn. War doch dieses junge Verfahren des Bildermachens nicht nur nah am Motiv, sondern schneller und günstiger. Allein: Hieß man das überhaupt noch Kunst?

Im GNM ist es den Kuratorinnen Leonie Beiersdorf und Ines Rödl nicht nur hervorragend gelungen, die ersten Selbstbehauptungs-Abenteuer der Fotografie gegenüber den "klassischen" Künsten aufzufächern, sondern auch das folgenreiche Wechselspiel zwischen "Licht und Leinwand". Allein der Größe der Schau mit 260 Werken gebührt Achtung. Zu rund einem Drittel sind hochkarätige Gemälde gehängt. Bei den verbleibenden Exponaten handelt es sich um wohl ausgewählte Fotografien.

Lücke geschlossen

Mit dem Schlaglicht auf die Kunst jener Umbruchszeit ist es Direktor Ulrich Großmann zufolge auch gelungen, die Lücke im Museum zwischen den Dauerausstellungen bis 1880 und ab 1920 zu schließen.

Die Schau entpuppt sich als sinnliches, begeisterndes Ereignis. Wer will, lernt viel beim Rundgang, wer nicht, kann sich einfach nur ergötzen. Hilfreich ist die Unterteilung in Kapitel wie Landschaft, Zeit, Bewegung oder Unschärfe.

Wie fortan der Hase läuft, beziehungsweise das Pferd galoppiert, war dann tatsächlich eine Lerneinheit, in der die Malermenschen ihre bisherigen Annahmen – aufgrund von Beweisfotografien – revidieren mussten. Wurde in den beliebten Pferdegemälden bis weit ins 19. Jahrhundert hinein das Tier beim Galopp mit weit von sich gestreckten Hufen abgebildet, zog die Erfindung der Moment-Fotografie die Erkenntnis nach sich: So ein Pferd, das diese Bewegung in entsprechender Choreographie vollführen kann, muss erst noch geboren werden. Eine optische Täuschung. So hoppeln allenfalls Hasen! Au backe.

Maler gegen Fotografie

Dennoch ritten altvordere Maler gegenüber den neuen Mitkonkurrenten von der Fotografie auf der streitbaren Sache mit der "Wahrheit" herum. Die Abbildung der Oberfläche möge ja gewährleistet sein, hieß es, aber nur mit dem Pinsel könne Tiefgang gelingen. Und dass die "Venus von Milo" von der Fotografie zwar kopiert, jedoch in ähnlicher Pracht nie erfunden würde, lautete ein anderer Gedanke der verunsicherten Pfründe-Bewahrer unter Bildhauern und Malern.

Doch siehe da: Nachdem Naturforscher Alexander von Humboldt die quasi-dokumentarische Präzision der Fotografie zu schätzen gelernt hatte, nahmen auch Reisemaler wie der "Ägypten-Müller" (Leopold Carl Müller, 1834–1894) oder der "Pferde-Krüger" (Franz Krüger, 1797–1857) die Vorzüge wahr. Und die Pionierleistung von Francis Frith bestand um 1856 nicht nur darin, sich mit seinem kompletten Technik-Equipment in die Wüste bei Kairo zu hocken, wo jeder Ölmaler aufgrund des Sandes verzweifelt wäre. Es gelang ihm auch, die zur Fotografie notwendigen Chemikalien trotz Wind zu binden, und sei es, indem er Zelte überstülpte.

Maler ließen Muskeln spielen

Was Naturphänomene wie Wolkenflug betraf, ließen die Maler allerdings weiterhin ihre Muskeln spielen. Von Eduard Schleich d. Ä. stammt das dramatische Küsten-Gemälde "Aufziehendes Gewitter" (1850/55), von Johann Friedrich Voltz das Ölbild "Kühe am Wasser in Voralpenlandschaft" (1870). Die neue Vorliebe zum Querformat klauten sie indes dann doch bei den Fotografen. Auch was Blicke ins Weltall betraf, setzte die Fotografie Maßstäbe. Der New Yorker Lewis Morris Rutherford lieferte am 8. März 1865 erstmals scharfe Ansichten vom Mond.

Dann raschelte es natürlich bei den Akten und Nackten. Aber nicht ausschließlich. Wenngleich inzwischen viele auf die preisgünstigeren fotografischen Vorlagen von Akt-Modellen zurückgriffen, zeigte sich Richard-Wagner-Fan Max Slevogt unbeeindruckt von derlei Papier. In seiner gewaltigen, raumgreifenden Tannhäuser-Adaption "Der Hörselberg" (1910 bis 1931) malte er die fleisch- und feuerspeiende Sex-Orgie völlig frei.

Schnappschüsse

Lovis Corinth malte 1901 sein Aktmodell "ohne Pose" – ein Schnappschuss ohne Foto (links). Heinrich Zille fotografierte die "Rückenansicht" 1901 klassisch.

Lovis Corinth malte 1901 sein Aktmodell "ohne Pose" – ein Schnappschuss ohne Foto (links). Heinrich Zille fotografierte die "Rückenansicht" 1901 klassisch. © Fotos: Corinth (GNM), Zille (Berlinische Galerie)

Umgekehrt ging Lovis Corinth 1901 mit der "Modellpause (stehender Mädchenakt)" vor. Er bannte die Unbekleidete absichtlich in einer "Nicht-Pose" auf die Leinwand: ein Schnappschuss der Malerei.

Ein neues "Gummidruck"-Verfahren erlaubte den Fotografen größere Formate, weichere Konturen, Mehrfarbigkeit. Um die Jahrhundertwende zitierte damit Heinrich Kühn das Wäscherin-Motiv Max Liebermanns.

Was Spielfreude und Ironie im Selbstporträt betrifft, sind im finalen Kapitel der Schau die Fotografen verglichen mit den bitterernsten Malern eindeutig die Erfrischenderen. Das Foto-Ding schrieb Geschichte. Heute sind jene "Selfies" auch schon wieder 100 Jahre alt.

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