Lieber tot als gedemütigt? Das Theaterstück "Schwarz auf Weiß" in Nürnberg

4.10.2020, 14:04 Uhr
Das Stück "Schwarz auf Weiß" thematisiert in der Tafelhalle Rassismus.

© Lang Ralf Das Stück "Schwarz auf Weiß" thematisiert in der Tafelhalle Rassismus.

Das Publikum trägt Maske – und die Darsteller auf der schneeweißen Bühne der Nürnberger Tafelhalle haben zu Beginn von „Schwarz auf Weiß“ futuristisch anmutende Motorradhelme auf (Bühne/Kostüm: André Schreiber). Irgendwie gerecht. Allerdings haben die Kopfbedeckungen in Barish Karademirs aktueller Produktion rein gar nichts mit dem berühmten allgegenwärtigen Virus zu tun. Vielmehr verdecken sie, zumindest am Anfang, die Hautfarben der zwei Tänzer und drei Schauspieler. Das ist kein Zufall: Der Regisseur, der seit 2006 regelmäßig in der Tafelhalle inszeniert, setzt sich mit dem Thema Rassismus auseinander. Vier Schwarze – Bobby Briscoe, Anne-Sophie Azizè Flittner, Challenge Etgar Gumbodete, Samira Vinciguerra – und ein Weißer (Lukas Kientzler) sind die Akteure in „Schwarz auf Weiß“.

Dabei handelt es sich nicht um ein klassisches Theaterstück, sondern um ein Rechercheprojekt. Barish Karademir, Sohn singhalesisch-zypriotischer Eltern, hat untersucht, „Wie Rassismus aus uns spricht“, so der Untertitel. Entstanden ist eine Collage aus Text, Licht (Sasa Batnozic) Tanz, Video (Lorena Müller) und Sound (Simon Rein), die zu Beginn sehr auf die Wucht der poetischen und dokumentarischen Texte setzt. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wird eingespielt; zu Bildern auf der Leinwand, zum Beispiel von Sklaven, die brutal geschlagen werden, rezitieren die Darsteller Ausschnitte aus Werken unter anderem des US-amerikanischen Schriftstellers James Baldwin.

Da ist an einer Stelle etwa die Rede von einer Schwarzen, die ihre Kinder lieber tötet, als sie einem Leben unter den Demütigungen der Weißen zu überlassen. Liste an Schrecklichkeiten Unterdrückung, Folter, Ungerechtigkeiten – die Liste der Schrecklichkeiten, die in den ersten 30 Minuten zur Sprache kommen, ist schier endlos. Doch gerade als man denkt, „puh“, dreht sich die Inszenierung. Eine Aufnahme des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton aus dem Jahr 2000 ist zu sehen, in der er vom Human-Genom-Projekt berichtet: Zu 99,9 Prozent sind die Gene der Menschen gleich, egal welche Farbe ihre Haut hat, egal, woher sie stammen.

Das Stück "Schwarz auf Weiß" thematisiert in der Tafelhalle Rassismus.

Das Stück "Schwarz auf Weiß" thematisiert in der Tafelhalle Rassismus. © Lang Ralf

Alle gleich? Davon merkt man auch 20 Jahre später nichts, im Gegenteil. Darüber kommen die Darsteller plötzlich ins Gespräch, das natürlich nicht spontan entsteht, aber spontan entstanden sein könnte. Sehr authentisch, sehr nahbar und letzten Endes viel eindringlicher als die reinen Rezitationen wirken diese autofiktionalen Dialoge – Autobiographisches wird also mit Erfundenem vermischt. Lukas Kientzler gibt den leicht cholerischen Verunsicherten, der sich über Political Correctness aufregt. Die sei eine Ersatzreligion, ein Katalog an Benimmregeln, der Menschen mundtot mache. Nur weil man jemandem verbiete, bestimmte Sachen zu sagen, hieße das noch lange nicht, dass er sie sich nicht trotzdem denkt. Respekt, Ethik, Anstand, Moral entstehe so jedenfalls nicht, resümiert er in seinem rasenden Monolog, der auf die Leinwand übertragen wird (Live-Video: Norbert Goldhammer). Da hat er einen wunden Punkt getroffen. Genau wie Anne-Sophie Azizè Flittner. Sie berichtet, wie weiße Freundinnen in Köln, die eine Lesereihe für afrikanische Literatur organisierten, sich plötzlich Beschimpfungen durch schwarze Aktivistinnen ausgesetzt sahen.

Keine leichte Kost

Nach dem Motto: „Das ist kulturelle Aneignung, das geht gar nicht!“ Wo soll das hinführen, wenn wir „auch noch die, die auf unserer Seite stehen, einschüchtern?“, fragt Flittner. Kurzum: Karademir lässt viele Perspektiven, viele Stimmen gleichberechtigt zu Wort kommen. Er wirft Fragen auf, die unangenehm sind, sowohl für Weiße als auch für Schwarze, legt den Finger in Wunden, die wir gerne mit dicken Pflastern zudecken, unter denen es dann allerdings langsam, aber stetig eitert . . . Leicht konsumierbar ist „Schwarz auf Weiß“ nicht, auch wenn Tanzelemente, Musik und auch mal ein Gag die zweistündige, sehr dichte Aufführung ohne Pause auflockern. Endgültige Antworten gibt es hier natürlich nicht, aber Anregungen und viel Stoff zum (nochmals) Nachdenken. Freundlicher, langer Applaus.

Info: Nochmals vom 16. bis 18. Oktober, 20 Uhr, Kartentelefon 09 11/2 16-27 77.

Keine Kommentare