Manchmal braucht man einen Plan B

30.7.2020, 15:04 Uhr
Sammlungsleiterin Heike Zech. Foto: Florian Kutzer, GNM

© FloKutzerNuernberg Sammlungsleiterin Heike Zech. Foto: Florian Kutzer, GNM

Frau Zech, welche Auswirkungen hat die Virusepidemie auf den Ausstellungsplan des Germanischen Nationalmuseums? Die Sonderausstellung zu Hans Hoffmann, einem Renaissance-Künstler in der Tradition Albrecht Dürers, die wir eigentlich ab 2. Juli zeigen wollten, müssen wir auf das nächste Jahr verschieben. Sie wird im Sommer 2021 zu sehen sein. Die Studioausstellung zu Pflanzenbüchern, die für Ende des Jahres geplante Ausstellung zu Zukunftsvorhersagen und Wahrsagerei und die für Frühjahr 2021 vorgesehene Ausstellung über Davos in der Zeit um 1900 werden aber wie geplant stattfinden – nach aktuellem Stand. Es ist unkomplizierter, „nur“ eine Ausstellung neu zu terminieren, als alle angedachten um ein paar Monate zu verschieben.

Was findet anstelle der Hoffmann-Ausstellung statt? Tja, das war nicht einfach. Was braucht man in dieser Situation? Einen Plan B! Unter diesem Motto des Ungeplanten steht das experimentelle Interims-Projekt, das wir kurzfristig in unserer großen Ausstellungshalle realisiert haben. Ich nenne es bewusst nicht Ausstellung, denn wir zeigen nur wenige Exponate. Der Fokus liegt stattdessen auf der Vermittlung, das KPZ benötigte Ausweichmöglichkeiten für seine Angebote. Die Halle misst knapp 1.000 Quadratmeter, wir verfügen dort also über genügend Platz, um einen Teilbereich zu bestuhlen und kleine Vorträge und Diskussionsrunden stattfinden zu lassen. So können wir dort auch wieder Alternativen zu Führungen anbieten. Alles natürlich entsprechend der aktuellen Hygienerichtlinien.

Was wird zu sehen sein? Wir zeigen knapp 30 Exponate, die im Kontext von Handlungsalternativen stehen. Das sind zum einen Porzellanfiguren, deren Materialrezeptur der gescheiterte Goldmacher Böttger für Europa entdeckte. Nicht sein eigentlicher Plan, aber ein großartiges Ergebnis! Außerdem zeigen wir großformatige Fotos und Erinnerungsstücke von Wandergesellinnen und -gesellen auf der Walz – ein Lebensabschnitt, in dem viel improvisiert werden muss.

Was war dabei die größte Herausforderung? Die Herausforderung für das GNM bestand darin, in kurzer Zeit mit minimalem Budget – es war ja nichts mehr eingeplant für dieses Jahr – etwas Interessantes zu realisieren. Die Exponate stammen alle aus unserem eigenen Bestand und glücklicherweise stand die Architektur der vorherigen Ausstellung noch, die haben wir wiederverwendet und nur leicht modifiziert. Alles strahlt den Charme des Provisorischen aus, und das auch ganz bewusst. Besucherinnen und Besucher sollen spüren, wie schnell es gehen musste.

War die Krise also auch eine Chance, Dinge neu zu denken und ungewohnte Flexibilität zu beweisen? Wir alle haben in den letzten Monaten erlebt, wie schnell Pläne nichtig wurden. Das schockiert und frustriert, kann aber auch ungeahnte kreative Kräfte für Neues freisetzen. Für uns kam die Krise zu einem gar nicht so schlechten Zeitpunkt: Seit nicht mal einem Jahr haben wir eine neue Direktion und gerade läuft ein Forschungsprojekt, das sich mit neuen Vermittlungsformaten beschäftigt. Dazu gehören die immer vielfältiger werdenden Möglichkeiten der Digitalisierung. Es befindet sich also vieles sowieso im Umbruch.

Wie sieht aus Ihrer Sicht die Zukunft der Museen aus? Die Museumsszene hinterfragt schon länger das Prinzip der „Flagship-Ausstellungen“: Megaschauen mit bekannten Künstlernamen, die mit großem Budget medienwirksam vermarktet werden. Leihgaben werden aus aller Welt für wenige Monate eingeflogen. Wann ist so etwas heute noch ökologisch vertretbar? Und die Ausstellungsarchitektur – individuell gestaltet und in Handarbeit angefertigt – wird mancherorts nach nur drei Monaten Laufzeit entsorgt. Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit fraglich. Da hat ein Umdenken eingesetzt. Architektonische Elemente werden wiederverwendet und umgenutzt – so, wie wir es aktuell gemacht haben. Ehrlich gesagt, ein Provisorium in dieser Radikalität hätten wir uns unter anderen Umständen noch nicht umzusetzen getraut. Wir lernen gerade viel, was uns in Zukunft sicher weiterhelfen wird.

Halle 1. Ein Experiment

16. Juli – 1. November 2020

http://www.gnm.de

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