"Mehr Farben": Das plant Wong mit Nürnbergs Symphonikern

15.3.2018, 17:50 Uhr
Kahchun Wong, 31 Jahre alt und in Singapur geboren, wird vom Sommer an für zunächst vier Jahre Chefdirigent der Nürnberger Symphoniker und damit die Nachfolge von Alexander Shelley antreten.

© Foto: Roland Fengler Kahchun Wong, 31 Jahre alt und in Singapur geboren, wird vom Sommer an für zunächst vier Jahre Chefdirigent der Nürnberger Symphoniker und damit die Nachfolge von Alexander Shelley antreten.

Herr Wong, ein erstes Konzert ist natürlich immer eine programmatische Ansage. Und Sie gehen gleich in die Vollen mit Gustav Mahler 

Kahchun Wong: Alexander Shelley hat sich mit der "Auferstehungssinfonie" verabschiedet und da finde ich es ein gutes Signal, zu zeigen, dass Mahler (neben Schostakowitsch) weiter für uns ein Thema bleiben wird. Ich liebe diese 5. Sinfonie unwahrscheinlich und zwar nicht nur wegen des "Adagiettos". Wissen Sie, ich bin ja als Trompeter gestartet. Und da bedeutet der Beginn der 5. Sinfonie mit dem Trompetensolo, das den ersten Satz einleitet, für mich einen ganz besonderen Moment.

Aber erklären Sie mir, warum Mahler nach diesem "Adagietto", nach dem man als Hörer eigentlich tot ist, dann noch diesen vitalen 5. Satz geschrieben hat.

Wong: Ich verstehe die 5. Sinfonie als eine Art Liebesbrief an seine Frau Alma, in dem er alle Höhen und Tiefen ihrer Beziehung auslotet. Und vielleicht ist das "Adagietto" gar keine Todesmusik, wie es uns Visconti in seinem genialen "Tod in Venedig"-Film suggerierte, sondern einfach die Erschöpfung und das Einschlafen nach einem Liebesakt ... 

Sie kombinieren Mahler mit Schuberts "Unvollendeter" und der deutschen Erstaufführung "Phenomenon" von Narong Prangcharoen.

Wong: Schubert ist sicherlich ein Gang vom Licht ins Dunkel, aus dem Mahler meiner Meinung wieder herausführt, denn optimistischer als im Schluss-Satz seiner 5. Sinfonie ist er ja nie wieder geworden. Und Narong ist einer der aufregendsten jüngeren Komponisten Thailands und ein Freund von mir. Er versuchte, ein Naturphänomen am Mekong in Töne zu fassen. Dort gibt es immer wieder die so genannten Naga-Feuerbälle oder Mekong-Lichter, die noch kein Naturwissenschaftler schlüssig erklären konnte und die natürlich zu allerhand mythologischen Deutungen Anlass geben. In Thailand und Laos spricht man davon, es seien die Zeichen einer Drachengeburt. Also darf sich das Publikum auf ein paar asiatische Farben mehr in den sinfonischen Programmen freuen.

Wenn man Sie beim Proben oder in der Art wie Sie über Musik sprechen erlebt, ist das sehr bildhaft. Täuscht mein Eindruck oder läuft da bei Ihnen im Kopf ein innerer Film ab?

Wong: Ja, es ist tatsächlich so. Ich meine, Musik riechen zu können. Es entstehen vor meinem geistigen Auge Strukturen, manchmal auch Farben und sehr oft eine Handlungsassoziation. Ich kann das gar nicht erklären, aber das war bei mir schon immer so.

Aber ist das nicht kompliziert? Einerseits müssen Sie als Dirigent eine unheimliche Koordinierungsarbeit leisten und immer im Kontrollmodus laufen und gleichzeitig sind Sie emotional total gefangen genommen.

Wong: Es ist ein bisschen schizophren, das stimmt. Doch eigentlich geht es uns Dirigenten da nicht anders als anderen: Wir müssen die Dinge einfach in eine gute Balance bringen.

Gerade durch die China-Tournee im Dezember haben Sie Ihr Orchester besser kennengelernt, oder?

Wong: Ja, das war bei allem Reisestress doch eine schöne Zeit zusammen. Ich war noch nicht so oft in China und muss sagen, was die Chinesen in den letzten Jahren an fantastischen Konzerthallen errichtet haben, davon macht man sich in Europa wahrscheinlich gar keinen Begriff. Nur müssen die natürlich jetzt mit Leben gefüllt werden.

Ein großes Anliegen, das Sie auch in Nürnberg intensiv pflegen wollen, sind so genannte Education-Programme, also niederschwellige Angebote für Kinder und Jugendliche, um ihnen unkompliziert die aufregende Welt der klassischen Musik zu vermitteln.

Wong: Bei uns in Singapur haben wir da ein Format übertragen, das das ungarische Orchester der Budapest Strings erstmals ausprobiert hat. Sie sprechen von "Kakaokonzerten", wo es sowohl um Musik geht, aber auch um das gemeinsame Essen, Trinken und Reden. Nun ist flüssige Schokolade bei uns in Südostasien nicht so der Hit. Deswegen nennen wir unsere Reihe nach einer bei uns sehr populären Bohnensuppe eben "Redbean-Concertos". Dazu laden wir gezielt Kinder aus bildungsfernen oder ärmeren Schichten zusammen mit ihren Eltern ein. Da gibt es ein paar Musikhappen und anschließend ein gemeinsames Suppenessen, wo man über die Musik ins Gespräch kommt. Wissen Sie, ich war gerade in Paris bei Marina Mahler, der Enkelin von Gustav Mahler, und die will sich bei diesem Projekt auch einbringen. Und wenn sie erzählt "Ich habe euch hier einen Dirigentenstab oder eine Brille meines Großvaters mitgebracht", erzeugt das bei Kindern einfach eine ganz andere emotionale Ansprache, als wenn wir sie mit noch so gut gemeinter Musikpädagogik beglücken würden.

Haben Sie eigentlich schon etwas von Nürnberg außerhalb des Probensaals und Ihrem Hotel gesehen?

Wong: Na klar, und die Stadt ist viel schöner, als ich dachte. Da gibt es noch viel zu entdecken. Ich kann mich ganz genau daran erinnern, wie uns ein Lehrer einmal erzählte, er sei in seinem Urlaub in Nürnberg gewesen und habe dort unwahrscheinlich gutes Bier und Würste genossen. Da war ich 16 und seitdem gab es die Stadt in meiner Vorstellung.

Nun führen Sie ein ziemliches Reise-Leben zwischen den Kontinenten. Ist das Fluch oder Segen?

Wong: Beides. Es ist wunderbar, im Flieger zu sitzen und in Ruhe Partituren studieren zu können ohne Handy-Klingeln oder Push-Nachrichten lesen zu müssen. Andererseits sehne ich mich wirklich nach einem festen Heim und bin derzeit tatsächlich auf der Suche. Nicht ausgeschlossen, dass ich Nürnberg wählen werde, weil die Stadt so zentral in Europa liegt.

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