Mehr Krieg als Frieden

2.10.2018, 14:20 Uhr
Mehr Krieg als Frieden

© Foto: Ludwig Olah / Staatstheater Nürnberg

Die Regie nähert sich der Bilderfolge mit viel Geschriebenem und einem weitgehend naturalistischen Setting, samt einigen sinnfälligen zeitlichen Brechungen wie etwa die Idee, die Welt von Andrej Vaters Nikolai in streng-funktionalen Sowjet-Chic zu verlegen. Jens Daniel Herzog gelingen darüber hinaus einige hervorragende theatrale Wirkungen, etwa wenn plötzlich die Rückwand des eben noch als Ballsaal genutzten Raums umfällt und sich daraus ein Schlachtfeld entwickelt. Mathis Neidhardt sorgt für klug angeordnete variable Wandteile, die sich schnell in Fluchten, größere Räume oder eben zur völlig offenen Szene verwandeln lassen. Auch sonst funktioniert der Kleider-Stilmix aus klassizistisch-frühbiedermeierlicher, gründerzeitlicher und zeitgenössischer Couture, den Kostümbildnerin Sibylle Gädeke entworfen hat, einwandfrei.

Doch plötzlich geht es nur um das Kollektiv, den Mob und die Gesellschaft. Die tragisch endende Liaison zwischen Natascha und Andrej blitzt da nur noch für eine Sterbeszene auf. Die Franzosen fallen in das menschenleere Moskau ein, finden kaum etwas zum Plündern und Essen und treten unter widrigsten Winterbedingungen den schmachvollen Rückzug an. Alles endet in einem chauvinistisch-nationalistischen Siegesgebrüll, das jeder Stalin-Hommage zur Ehre gereicht hätte.

Immerhin bietet es durch seine Vielzahl an Rollen Gelegenheit, die zahlreichen Neuzugänge auf der Bühne kennenzulernen. Da wäre zum Beispiel Eleonore Marguerre, die ein starkes Profil von Natascha zeichnet: Eine selbstbewusste, aber auch suchende Frau mit einer starken, charaktervollen Stimme. Aber auch Zurab Zurabishvili konturiert den etwas linkisch und naiv veranlagten Besuchow als letzlich doch sehr reflektierten und weitsichtigen Gesellschaftskritiker.

Mit enormer stimmlicher und darstellerischer Präsenz beeindrucken Chor und Extrachor; sie haben damit wichtigen Anteil an der Überzeugungskraft der Inszenierung. Tarmo Vaask hat nicht nur sehr viel Russisch mit seinen Kollektiven trainiert, sondern ermöglicht, dass auch im größten Gewusel Durchhörbarkeit und die Stimmfach-Balance gewahrt bleiben.

In großer Geschmeidigkeit, ja Eleganz, lenkt Joana Mallwitz die Vokal- und Instrumentalgruppen durch die durchkomponierten Gefilde. Unaufgeregt und mit großer Übersicht fügt sie die Klangelemente zusammen. Im ersten Teil schwingt sich die endlose, subtil orchestrierte Melodie durchaus zu ariosen Momenten auf, deren Erinnerungshalbwertzeit jedoch übersichtlich bleibt. Im Chorteil kommen dann noch Geschützfeuer-Salven, eruptive Massenausbrüche und Agitprop-Töne dazu. Schönklang, Aggression, Bedrohlichkeit und jene russische Melancholie, wie sie derzeit auch nebenan im Schauspielhaus bei Tschechow zu erleben ist, sind die bestimmenden Triebkräfte der Tolstoi-Vertonung. Wegen der umfangreichen Kürzungen gelingt mit Pause eine Aufführungsdauer von dreieinhalb Stunden.

ZWeitere Aufführungen: 13., 21. und 27. Oktober; Karten: Hotline 0 18 01 34 42 76 oder Telefon 09 11 / 2 16 27 77.

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