Missbrauchsvorwürfe: Woody Allen verteidigt sich

29.3.2020, 13:09 Uhr
Missbrauchsvorwürfe: Woody Allen verteidigt sich

© Foto: Ander Gillenea/afp

"Ich hoffe, Sie haben das Buch nicht nur wegen dieser Geschichte gekauft", schreibt Woody Allen auf Seite 220. Doch wahrscheinlich werden viele seine Autobiographie genau deswegen kaufen: Wegen des Vorwurfs, er habe 1992 seine damals siebenjährige Adoptivtochter Dylan Farrow sexuell missbraucht. Allen hat das stets bestritten und sich nicht weiter dazu geäußert. Zur Anklage kam es mangels Beweisen nie. Erst im Zuge der #MeToo-Debatte geriet der inzwischen 84-Jährige erneut in die Schusslinie.

Nicht wenige seiner Schauspieler distanzierten sich von dem Regisseur, in den USA laufen seine neuen Filme nicht mehr an. Und auch um die Veröffentlichung seiner Autobiographie "About Nothing", die heute unter dem Titel "Ganz nebenbei" in Deutschland erscheint, gab es ein unwürdiges Hickhack: Der amerikanische Hachette-Verlag nahm das Buch nach Protesten von Mitarbeitern aus dem Programm, der Rowohlt-Verlag blieb trotz der öffentlichen Empörung einiger Autoren bei seiner Zusage. In den USA kamen Allens Memoiren nun beim Arcade-Verlag heraus, der das Buch eine "offene und umfassende persönliche Rechenschaftsablegung" nannte.

Produktiv und intelligent

Angesichts des Medienrummels im Vorfeld dürfte der Autobiographie die Aufmerksamkeit jedenfalls gewiss sein. Dabei kommen Fans von Woody Allen, immerhin einer der produktivsten und intelligentesten Regisseure der vergangenen 50 Jahre, durchaus auf ihre Kosten. Sehr unterhaltsam, im flotten Plauderton, selbstironisch und mit viel sarkastischem Humor blickt Allen auf sein Leben zurück – angefangen bei den sich ewig streitenden, aber liebevollen Eltern, die zusammenpassten "wie Hannah Arendt und ein Gangsterboss".

Und er warnt die Leser gleich mal: "Leute, das hier ist die Autobiographie eines misanthropischen, ungebildeten Gangster-Fans; eines kulturlosen Eigenbrötlers, der vor dem Spiegel übt, unbemerkt ein Pik-Ass im Ärmel verschwinden zu lassen, um seine Freunde auszunehmen." Dass viele ihn als Intellektuellen bezeichneten, sei allein seiner schwarzen Hornbrille geschuldet. Mit dem Image des Parias hat Allen immer gern kokettiert.

Vier Oscars - trotz Abneigungen

Gespickt mit Anekdoten und ausführlichen Abschweifungen in sein Liebesleben erinnert er sich an seine Anfänge als Gagschreiber und Stand-up-Comedian, an seine ersten Filme, den Riesenerfolg mit "Manhattan" (den er im Schneideraum am liebsten eingestampft hätte) und blättert ein Who’s Who der genialen Köpfe des Metiers auf – zu denen er bald selbst gehörte.

Vier Oscars hat Allen gewonnen. Keinen davon hat er persönlich entgegengenommen. Wenn er seine Abneigung gegen Preisverleihungen im Buch damit begründet, dass er lieber nach vorne schaue als zurück, wirkt es wie eine bittere Pointe, dass er schließlich doch gezwungen wurde, sich wieder mit der Vergangenheit zu beschäftigten – mit dem dunkelsten Kapitel seines Lebens.

Die neu aufflammenden Missbrauchsvorwürfe aus dem Jahr 1992 holten Allen ein, während er an seinen Memoiren schrieb. Ihnen widmet er sich mit großer emotionaler Wucht im zweiten Teil des Buches. Die Sache geht ihm extrem nah, das spürt man. Und so wie er es schildert, ist der Vorwurf, den Mia Farrow gegen ihn erhebt, ungeheuerlich, entstanden aus bösartiger Rachsucht.

Er lässt kaum ein Detail aus

Seit 1980 waren Allen und die Schauspielerin, die er "umwerfend schön" fand, für 13 Jahre ein Paar. Als beide sich kennenlernen, hat Farrow drei leibliche und vier adoptierte Kinder. Schon nach wenigen Wochen will sie ein Kind von ihm und heiraten. Allen steht nach beidem nicht der Sinn. Im Buch fragt er sich, ob bei ihm nicht da schon die Alarmglocken hätten läuten müssen.

Gemeinsam adoptieren sie die kleine Dylan, für die er ebenso wie für den älteren Adoptivsohn Moses innige Vatergefühle entwickelt. 1987 wird der gemeinsame Sohn Ronan geboren. Das Paar, das nie zusammenwohnt, hat sich da schon entfremdet, zum endgültigen Bruch kommt es, als Mia Farrow entdeckt, dass Allen und ihre volljährige Adoptivtochter Soon-Yi eine Affäre haben. Farrow kündigt ihm an, ihre Rache werde schlimmer sein als sein Tod. Er habe ihr Soon-Yi genommen, jetzt nehme sie ihm Dylan.

Für seine gnadenlose Abrechnung mit Farrow hat sich Allen gut gewappnet. Er lässt in der Beschreibung der Ereignisse kaum ein Detail aus, zitiert Gutachten, Kinder, Hausangestellte, die den Anschuldigungen gegen ihn sämtlich den Boden entziehen. Auch wenn sein mitunter flapsiger Tonfall hier unpassend wirkt, kommt man nicht umhin, sich auf seine Seite zu schlagen. Allen formuliert es demütiger und schreibt, er hätte sich gewünscht, dass mehr Leute gesagt hätten, "ich weiß nicht, wie es wirklich gewesen ist. Ich erlaube mir kein Urteil".

Woody Allen: Ganz nebenbei. Autobiographie. Rowohlt Verlag. 443 Seiten, 25 Euro.

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