Neu im Kino: Ist Greta eine Heilsbringerin?

15.10.2020, 12:33 Uhr
Vom stillen Solo-Schulstreik bis zur internationalen Klimaschutzbewegung: die junge Schwedin Greta Thunberg.

© Foto: Filmwelt Verleih Vom stillen Solo-Schulstreik bis zur internationalen Klimaschutzbewegung: die junge Schwedin Greta Thunberg.

Ist Greta Thunberg tatsächlich die Heilsbringerin, als die sie bei einer Begegnung mit dem Papst von ihren italienischen Anhängern gefeiert wird? „Los Greta, rette den Planeten!“, ruft die Masse in Rom der jungen Klimaaktivistin mit dem langen geflochtenen Zopf zu. Und man spürt förmlich die viel zu große Verantwortung, die auf ihr lastet. Greta setzt ihr leicht verkniffenes Lächeln auf und wirkt seltsam allein da oben auf der Bühne – trotz der vielen Fans.

In dem Film sieht man sie oft einsam

Allein, ja einsam, so sieht man sie in „I am Greta“ immer wieder. Es ist vielleicht sogar der nachhaltigste Eindruck, den die Dokumentation von Nathan Grossmann hinterlässt. Der schwedische Filmemacher hat Greta Thunberg bei ihrer wahnwitzig steilen Karriere von der Solokämpferin für Klimaschutz zur Ikone der weltweiten „Fridays vor Future“-Bewegung mit der Kamera begleitet und ist seiner Protagonistin als Bekannter der Familie Thunberg dabei sehr nahe gekommen.

Zu Beginn sieht man die 15-jährige Schwedin im Sommer 2018 vor dem Stockholmer Parlament sitzen. „Schulstreik für das Klima“ steht auf ihrem selbstgemalten Plakat. Keiner kennt sie, und abgesehen von einer älteren Frau interessiert sich auch niemand für ihren stillen Protest.


Greta Thunberg spricht vor den Vereinten Nationen: "Wie konntet ihr es wagen?"


Ein Jahr später kennt sie jeder, Greta hält ihre legendäre Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York. Für die junge Frau selbst fühlt sich der Hype um ihre Person, die Tatsache, dass selbst erwachsene Menschen ständig Selfies mit ihr machen wollen, wie ein „surrealer Film mit einer unwahrscheinlichen Handlung“ an.

Und genau darin liegt die Qualität der Dokumentation. Sie zeigt uns auch die private, sehr menschliche Seite eines Medienstars wider Willen, der in der Öffentlichkeit mit seinen kompromisslosen Ansagen oft genug polarisiert. Man sieht Greta lachen und tanzen, man sieht ihr mit Plüschfiguren vollgestopftes Zimmer und dass sie bei Tieren offensichtlich mehr Nähe zulassen kann als bei Menschen. Auch die weinende, gestresste und erschöpfte Klimaaktivistin, die sich keine normale Jugend gönnt, rückt die Kamera mehrmals ins Bild.


Warum Greta Thunberg den Friedensnobelpreis verdient hätte


Nein, Greta Thunberg ist weder ein Messias noch eine Politikerin oder NGO-Managerin. Sie ist ein junger Mensch mit Asperger. Und dieses Syndrom bringt es einerseits mit sich, dass Emotionen anders erlebt und ausgelebt werden. Und es führt dazu, dass sich die betroffenen Menschen überaus fokussiert und energisch mit einer für sie wichtigen Angelegenheit auseinandersetzen.

Bei Greta ist es, so legt der Film nahe, die Angst vor der Ignoranz der Erwachsenen gegenüber dem Klimawandel. So lässt sich vielleicht ihre Hartnäckigkeit erklären, ihre Widerständigkeit gegen den Hass, der ihr aus den sozialen Medien entgegenschlägt – und die Unterstützung, die sie von ihren Eltern erfährt.


Überfüllter ICE: Greta Thunberg muss auf dem Boden sitzen


Wie in einer Art Roadmovie folgt der Film seiner Hauptfigur – als strahlende Heldin verklärt er sie nicht – von Kattowitz über Paris und London nach Brüssel und über den Atlantik nach New York. Dabei entstehen viele bewegende Momente, die auch Thunbergs Verdienst um die junge Klimaschutzbewegung unterstreichen. Ein Verdienst, das seinen Preis hat. (97 Min.)

Verwandte Themen


5 Kommentare