Neue CD: Als Miles Davis sich neu erfand

6.9.2019, 14:40 Uhr
Neue CD: Als Miles Davis sich neu erfand

© Rhino (Warner)

Beim Album "Rubberband" (Rhino/Warner), das am heutigen Freitag erscheint, trifft dies jedoch nicht zu. Dank der Hilfe von Vince Wilburn jr., Neffe und Nachlassverwalter von Miles Davis, sowie des damaligen Produzenten Randy Hall erblickt mit 34 Jahren Verspätung ein Werk das Licht der Öffentlichkeit, das Miles exakt nach seinen Vorstellungen umsetzte, in das er seine besten Ideen und Soli steckte und das als Wendemarke seiner einzigartigen Karriere gedacht war.

Dem exzentrischen Maestro stand nach Jahrzehnten beim Branchenriesen CBS, nach der Erfindung des Bebop, des Cooljazz und des Jazzrock, nun bei Warner, dem anderen Branchenriesen, der Sinn vor allem nach Erfolg. Dass dessen Chef Tommy LiPuma für sein neues Zugpferd völlig andere Pläne hatte, führte zu einer der fragwürdigsten Entscheidungen der Musikgeschichte.

Man schrieb das Jahr 1985, das Zeitalter von MTV, elektronischen Drums und schillernden Popstars wie Cameo, Scritti Politti, Toto oder Mr. Mister. Miles bewunderte und beneidete sie um ihr Charisma und das mediale Interesse. Seine erklärten Helden hießen Prince und James Brown. Er, der große Jazzstar, wollte so sein wie sie, dem Habitus des coolen, lässigen, schwarzen Pop-Womanizers eine andere, intellektuellere Note verleihen.

Nach seinem fulminanten Comeback-Hitalbum "The Man With The Horn" von 1980 schien die Stoßrichtung für ihn klar. Unter derartigen Vorzeichen entstand im Oktober des gleichen Jahres in Los Angeles "Rubberband" – mit einem Miles Davis in absoluter Höchstform. Die Ausrichtung der Session markierte einen radikalen Richtungswechsel in der Vita des damals 59-Jährigen.

In jedem der elf Titel dominieren brodelnde, aber auch eingängige Funk- und Soulgrooves, als Gastsänger waren Al Jarreau und Chaka Khan vorgesehen. Es sei eine kreative Explosion gewesen, schwärmt Randy Hall, die sich vor allem im Trompetenspiel des "Real Chiefs" (Wilburn) niederschlug. Doch sie alle hatten die Rechnung ohne Tommy LiPuma gemacht.

Der bekennende Jazzfan wollte unter allen Umständen vermeiden, dass sich Miles zum MTV-Clown degradieren ließ. Dafür hatte ihn LiPuma nicht zu Warner geholt. Außerdem gefiel ihm "Rubberband" ganz und gar nicht. Also setzte er alle Hebel in Bewegung, um den Trompeter aus seiner Sicht wieder auf die richtige Spur zu bringen. Er engagierte hippe, aber durchaus angesehene Jazzmusiker wie George Duke und Marcus Miller und drängte sie, "Tutu" aufzunehmen – im Nachhinein mitnichten ein Malus für Milesʼ Karriere. Die Funk- und Soul-Palastrevolution des "Schwarzen Prinzen" verschwand in der Asservatenkammer des Weltkonzerns.

Auf zwei Zeitebenen

Als Tommy LiPuma 2017 starb, löste sich der jahrzehntelange Bannfluch mit einem Schlag in Luft auf. Warner bat Vince Wilburn jr. und Randy Hall, das unvollendete Werk abzuschließen. Dazu engagierten sie aktuelle Popstars wie Lalah Hathaway, Ledisi und Medina Johnson.

Dabei entstand ein Album auf zwei Zeitebenen: Da gab es den starken Achtziger-Einschlag der Originalaufnahmen, dem die modernen perkussion-, gitarren- und keyboardlastigen Bearbeitungen in einem pfiffigen Spannungsfeld gegenüberstehen. "Inzwischen gibt es ein neues Publikum, das Miles entdecken will", glaubt Randy Hall. "Es kennt die alten Sachen nicht mehr, also können wir sie mit neuen Songs begeistern." Dennoch bleibt eine Frage offen: Miles Davis als Popstar – hätte das tatsächlich funktioniert?               REINHARD KÖCHL

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