Nichts als Sex im Kopfkino: Die Dramedy-Serie "Pure"
Berührend-komisch: Britischer Sechsteiler dreht sich um eine junge Frau mit Zwangsstörung - 08.04.2021 11:14 Uhr
Marnie (Mitte, mit ihren Londoner Bekanntschaften) hat nichts als schmutzige Gedanken im Kopf. Freude empfindet sie daran keine.
08.04.2021 © Phil Fisk
Wie ist das, wenn man – oder in dem Fall frau – ständig, wirklich ständig Sex im Kopf hat? "Krassen Sex. Richtig abgefuckten Sex", wie die junge Schottin Marnie (Charly Clive) gleich zu Beginn der Serie "Pure" ziemlich verzweifelt einräumt und erklärt: "Das ist wie bei `The 6th Sense`, nur dass ich keine toten Menschen sehe, sondern nackte."
Marnie leidet unter einer Zwangsstörung, die so heftige Ausmaße annimmt, dass sie Knall auf Fall aus ihrem beschaulichen Heimatort flieht. Warum, wird anfangs sehr eindringlich gezeigt: Die Rede, die Marnie zum Hochzeitstag ihrer Eltern halten will, gerät abrupt ins Stocken. Vor dem inneren Auge der 24-Jährigen sind die Partygäste schlagartig nicht einfach nur hüllenlos, sie fallen auch über einander her, die Eltern mittendrin. Seniorenporno im Kopfkino. Marnie hat genug, steigt in den nächsten Bus, dessen Fahrer sie sich ebenfalls nackt vorstellen muss, und versucht, in Londons scheinbarer Anonymität abzutauchen.
Natürlich gelingt es ihr in der Millionenmetropole nicht, ihrer Krankheit zu entfliehen. Stattdessen taumelt sie von einer bizarren Liebschaft zur nächsten, lässt sich als Praktikantin ausbeuten und nimmt einigermaßen unfreiwillig am Kurs "Filzen für Anfänger" teil. Doch schnell wird klar: Neben einer Therapeutin haben auch die neuen Freunde das Potenzial, ihrer gequälten Seele zu helfen…
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Ihre Übersprungshandlungen, die bizarren Bilder in Marnies Kopf, für den Zuschauer sind das urkomische Szenen. Aber das Lachen wird oft genug zum übergroßen Kloß im Hals. Die Zwangsstörung macht Marnie nahezu beziehungsunfähig. Sie leidet. Pure Verzweiflung. Dramedy nennt sich das Format: Drama und Comedy gut gemixt - wie einer der zahllosen Drinks, die Marnie auf der Flucht vor sich selbst hinunterkippt.
Daumendrücken bis zum Ende
Die junge Frau drischt verbal bisweilen so derb und rücksichtslos auf ihr Umfeld ein wie der berüchtigte Ex-Fußballer Paul Gascoigne nach 20 Pints auf das Mobiliar eines Hotelzimmers. Weil jedoch die bis dato unbekannte Schauspielerin Charly Clive ihrer Figur eine grundsympathische Note verleiht, der man sich nicht entziehen kann, leidet man trotzdem bis zum Ende der sechs rund 30-minütigen Folgen mit, die Daumen schmerzhaft gedrückt, weil man es sich wünscht, dass es Marnie trotz aller Widrigkeiten doch bitte schaffen möge, ihre Krankheit und sich selbst zu akzeptieren.
Wer die ebenfalls britische Serie "Fleabag" mit der fabelhaften Phoebe Waller-Bridge kennt, muss sich eingestehen: "Pure" kann nicht ganz in dieser Premier League des schwarzen Humors mitspielen. Unterhaltsam ist die sechsteilige Reihe aber allemal, und zu Marnies wilder Fahrt auf der Gefühlsachterbahn läuft ein wunderbarer Retro-Soundtrack - von Nancy Sinatra bis zu den Walker Brothers. "The Sun Ain´t Gonna Shine Anymore". Doch, Marnie. Doch.
"Pure": Die sechs Folgen der BBC-Produktion sind noch bis Ende Mai in der ZDF-Mediathek abrufbar.
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