Nürnbergs Kulturhauptstadt-Bewerbung: Basis für ein neues Wir-Gefühl

22.9.2020, 09:29 Uhr

Es ist ein bisschen wie bei einer Abschlussprüfung: Die Arbeit ist abgegeben, nach bestem Wissen und Gewissen verfasst. Jetzt beurteilen die Prüfer, ob sie sehr gut oder doch nur befriedigend ist und wer – um im Bild zu bleiben – Klassenbester wird. Es geht hier aber nicht nur um die Note eines einzelnen, sondern um die Zukunft einer ganzen Region. Denn natürlich gibt ein Titel als Kulturhauptstadt Europas Rückenwind, schafft große Aufmerksamkeit, setzt Energien frei und ist mit riesigen Chancen verbunden.

Nürnberg hat sich sehr ernsthaft, stringent, gewissenhaft und im besten Sinne selbstbewusst auf den Weg zum Titel gemacht. Fränkisch solide, ohne den einen großen Brüller, dafür mit vielen wohlüberlegten Projekten. Es ist eine dezidiert Nürnberger Bewerbung, mit Themen, die nur in dieser Stadt mit ihren historischen Brüchen, mit ihrer Rolle in der NS-Zeit, der weltberühmten Spielwarenmesse und Dürers Haus so gesetzt werden können. Historische Fakten bilden die Folie, werden aber konsequent in die Gegenwart und Zukunft gedacht.


Endspurt um den Titel: Wer wird Kulturhauptstadt Europas 2025?


2025 steht der 80. Jahrestag des Endes des 2. Weltkriegs an. Gerade Nürnberg war sicherlich von der Jury klug beraten, diesen Jahrestag stärker als ursprünglich angedacht in sein Programm aufzunehmen. Es hat mit dem Reichsparteitagsgelände und dem KZ Flossenbürg die Orte der Täter und der Opfer vor der Tür – und längst bewiesen, dass es den Blick in seine historischen Wunden nicht scheut. Kein Mitbewerber dürfte hier mithalten können.

Die Corona-Pandemie, die den Bewerbungsprozess getroffen hat, wird im Vorwort angerissen, hat wohl dafür gesorgt, dass stärkeres Augenmerk auf digitale Projekte gelegt wird, bleibt aber ansonsten außen vor. Auch das Thema Klimawandel, das die Welt und vor allem die Jugend bewegt, scheint im Programm kaum auf. Das könnte ein Manko sein.

Schon jetzt viel bewirkt

Unabhängig von der Außensicht: In der Region hat die Bewerbung schon jetzt viel bewirkt. Netzwerke und Kooperationen sind entstanden, Grundstock für ein neues Wir-Gefühl in einer Region mit 3,6 Millionen Einwohnern.

Dass die Kulturhauptstadtbewerbung noch nicht in jedem Wohnzimmer angekommen ist und dort Jubel entfacht, ist klar. Die Strukturen für solch ein Unterfangen müssen zunächst auf institutioneller Ebene gelegt werden – als Basis für eine volksnahe
Realisierung in fünf Jahren.

Die Pläne für die Eröffnungszeremonie wirken zunächst wenig einfallsreich: Ein großes "Volksfest". Wer aber vor zwei Jahren beim "Boulevard Babel" in der Südstadt war, bekam eine Vision davon, wie Kulturhauptstadt aussehen könnte: Beglückende Begegnungen mit Menschen, mit denen man sonst nie in Kontakt gekommen wäre. Diese "Zwischenprüfung" hatte Nürnberg mit Bravour bestanden. Jetzt heißt es Daumen drücken, dass es auch den "Abschlusstest" meistert – im Sinne der ganzen Metropolregion.

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