Nürnbergs Schauspiel punktet mit der "Möwe"

30.9.2018, 19:26 Uhr
Nürnbergs Schauspiel punktet mit der

© Konrad Fersterer

"Die Möwe" ist natürlich genau das richtige Stück für einen Neubeginn im Schauspielhaus. Schließlich geht es darin auch um die Möglichkeiten des Theaters, um Altbewährtes und Zukunftsmusik, um die Schauspielerei an sich. Vor allem aber geht es um die verzweifelte Suche der Menschen nach Liebe, nach einen Zipfel vom Glück, nach Selbstverwirklichung, nach irgendeinem Sinn im Leben. Die Kunst scheint da, wenn schon keine Antwort, doch zumindest einen Ausweg zu bieten.

Anne Lenk und ihre Bühnenbildnerin Judith Oswald versetzen das Stück vom russischen Landgut am See in einen fast leeren, abstrakten Raum, der an ein Mausoleum erinnert. Alles konzentriert sich auf die zehn Schauspielerinnen und Schauspieler. Die Protagonisten sind zeitlos modern gekleidet und während der ganzen Aufführung auf der Guckkastenbühne zu sehen. Wenn sie nichts zu sagen haben, erstarren sie zu Spielfiguren oder Schaufensterpuppen. Gespielt wird gut zwei Stunden ohne Pause.

Von russischer Schwermut keine Spur, dafür sorgt schon die schnörkellose Übersetzung von Thomas Brasch. Stattdessen blühen hier prächtige Neurosen, die noch in den kleinsten Bewegungen und Ticks sichtbar werden. Alle jammern über die unerträgliche Leichtigkeit des Seins – und das wirkt auf Außenstehende ganz schön komisch. Zumindest in der ersten Hälfte der Inszenierung.

Ein Teil der Figuren ist überraschend besetzt, etwa der Nachwuchsdichter Kostja: So einen wie Cem Lukas Yeginer hat man in dieser Rolle noch nie gesehen. Ein dicklicher Typ im Trainingsanzug, der sich zu Höherem berufen fühlt und unter der Missachtung der Erwachsenen, vor allem aber seiner Mutter Arkadina, leidet.

Die neue Nürnberger Hausregisseurin widmet dem Drama dieses begabten Kindes besondere Aufmerksamkeit, alles kreist um den Mutter-Sohn-Konflikt. Denn Arkadina, eine einst erfolgreiche Schauspielerin, spricht Kostja jegliches schriftstellerische Talent ab. Ulrike Arnold glänzt in dieser Rolle als eitle, leicht hysterische Frau, die sich mit ihrem Alter nicht abfindet. Ihr Selbstbewusstsein zieht sie vor allem aus der Bewunderung, die ihr die Männer entgegenbringen.

Die junge Mascha (Anna Klimovitskaya) versucht Langeweile und Lebensekel im Alkohol zu ertränken. Kostja will nichts von ihr wissen, weil er hoffnungslos in Nina (Pauline Kästner) verliebt ist, die von der großen Freiheit und vom Ruhm einer Schauspielerin träumt. Die wiederum fühlt sich von Trigorin angezogen, der sie letzten Endes unglücklich macht. Pauline Kästner führt die Entwicklung von der naiven Provinzschönheit zur lebenserfahrenen Künstlerin glaubhaft vor.

Anne Lenk hat die verschiedenen Charaktere zugespitzt, ohne sie zu Karikaturen zu verzerren. Das Ensemble ist fast wie ein Tanzkollektiv konsequent durchchoreografiert. Auch die Nebenrollen sind in ihrer durchdachten, detailgenauen Inszenierung gut besetzt. Kaum wieder zu erkennen sind Thomas Nunner und Michael Hochstrasser, die im neuen Ensemble selbstironisch und souverän die komischen Alten spielen.

Ein Happy End gönnt Tschechow seinen Figuren bekanntlich nicht. Erst erschießt Kostja die Möwe, ein Symbol der Freiheit, und schließlich sich selbst. Sein Tod ist kein Fanal und hat keine Folgen. Arkadina, seine Mutter, will nur weiterspielen. "Das Problem ist doch längst gelöst. Weder Komödie, noch Tragödie, ein Zwischenfall."

Für die Nürnberger Theaterbesucher aber durchaus ein Glücksfall.

Weitere Vorstellungen: 11., 13., 28. und 30. Oktober. Kartentel.: 01 80/1 34 42 76 oder 09 11/ 2 16 27 77.

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