Pralles Programm
Openair und virtuell: Fotofestival "Facing Reality" startet in Nürnberg
2.5.2021, 20:27 UhrDas Festival "Facing Reality" der Fotoszene Nürnberg e.V. hat sich diesmal von der Pandemie nicht ausbremsen lassen. Es findet statt und zeigt ab dieser Woche schon mal openair – am Bauzaun an der Lorenzkirche und im Stadtpark – mit Arbeiten der Fotoszene und internationalen Gästen sichtbar Flagge.
"Wie schnell Kultur zur Fata Morgan werden kann, wird uns gerade täglich vor Augen geführt", sagte Festivalleiterin Jutta Missbach bei der virtuellen Eröffnung des urspünglich für 2020 – zum zehnjährigen Vereinsjubiläum – geplanten Projekts. Kurz vor dem ersten Lockdown entschied man sich zur Absage. Dass der zweite nun seit sechs Monaten andauert, hätte sich bei der Neukonzeption für 2021 keiner vorstellen können.
Bis zuletzt haben die Festivalmacher immer wieder umgeplant. Statt Workshops und Live-Gesprächen gibt es nun ein digitales Rahmenprogramm mit Filmen und Online-Vorträgen, die das Filmhaus über sein digitales Kino 3 streamt. Und – allen Widrigkeiten zum Trotz – sieben über die Stadt verteilte Indoor-Ausstellungen, die, so die Hoffnung, zumindest für Geimpfte bald geöffnet werden können.
Zum zehnjährigen Bestehen zieht die Fotoszene Nürnberg eine positive Bilanz
Die zentrale "Facing Reality"- Schau im Kunsthaus, dem wichtigsten Kooperationspartner des Festivals, ist seit heute als virtueller Rundgang mit Kurator Matthias Dachwald zu sehen. Sieben Mitglieder der Fotoszene und neun Gäste nehmen die Realität mit scharfem Blick und viel Empathie ins Visier, sie führen uns die Abgründe und Bizarrheiten vor Augen, thematisieren gesellschaftliche Missstände und aktuelle Krisen, erzählen von den Tragödien des Lebens und von Solidarität.
Die Berliner Fotografin Marlene Pfau rührt mit ihrer preisgekrönten Dokumentation "Sorgearbeit" an eines der drängendsten Probleme unserer Zeit, das uns alle angeht und das wir alle gerne verdrängen. Pfau begleitete eine polnische Pflegekraft, die sich in Deutschland um eine demente alte Frau kümmert, mit ihr lebt, rund um die Uhr für sie da ist. Es sind leise, berührende Bilder, die Zuneigung und Zärtlichkeit zeigen, Erschöpfung und Einsamkeit und brisante Fragen aufwerfen: Was läuft falsch in einer Gesellschaft, die die Verantwortung für ihre Alten abgibt an Menschen, in der Regel Frauen, die dafür ihre eigenen Familien verlassen, in ein fremdes Land gehen, um Fremden zu helfen, und für ihre so unverzichtbare Arbeit meist sehr schlecht bezahlt werden?
Auch Klaus Pichler rückt in "Golden Days before the End" die ins Abseits Gedrängten in den Fokus. Er suchte die Beisl seiner Heimatstadt Wien auf, nicht die schicken In-Lokale, sondern die schäbigen Wirtshäuser, die der Gentrifizierung weichen müssen, ohne dass jemand danach fragt, was aus den Leuten wird, für die diese Kneipen oft die letzten Zufluchtsorte sind. Seine Bilder zeigen vom Leben und vom Alkohol gezeichnete Menschen, das Skurrile und das Hässliche. Doch stellt Pichler seine Protagonisten nie bloß, er bringt sie uns mit ihrem Stolz und ihrer Sehnsucht nach Teilhabe nahe, verleiht ihnen Individualiät und Würde.
Schreckensbilder aus Ischgl
Wie sich der Mensch seiner Würde selbst beraubt, ist bei Lois Hechenblaikner zu erleben. Der Österreicher dokumentiert seit langem die Folgen von Klimawandel und Tourismus für die Alpen. 2020 veröffentlichte er einen Fotoband über Ischgl, jenem Ort, der zum Synonym für die Pandemie wurde. Hechenblaikner hat sich (vor Corona) unter das enthemmte Partyvolk begeben, seine Aufnahmen sind Schreckensbilder des grenzenlosen, enthemmten Exzess’.
Gleichsam ans andere Ende der Welt führen zwei Fotografien von Sebastian Wells aus dem abgebrannten Flüchtlingslager Moria, die auf eindringliche Weise von der Schutzlosigkeit der Schutzsuchenden erzählen und zu einer Anklage des gesamteuropäischen Versagens werden.
Den Bizarrheiten des ganz normalen deutschen Alltags widmet sich Sebastian Autenrieth. Seine Nachtaufnahmen typischer Vorstadtsiedlungen mit ihren so inviduell sein wollenden und doch so uniformen Garten- und Fassadengestaltungen wirken – als riesiges Bilder-Tableau inszeniert – geradezu gespenstisch. Kleinbürgerliche Sehnsuchtsorte, die Angst machen können.
Gegenüber dokumentiert Peter Bialobrzeski den Wildwuchs der Städte und animiert dazu, mal wieder mit offenen Augen durch die Welt zu laufen – so wie die gesamte Ausstellung dazu auffordert.
Alle Infos zum Festival: www.fotofestivalnuernberg.de
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