Plädoyer für mehr Vernunft

20.4.2017, 14:30 Uhr
Plädoyer für mehr Vernunft

© dpa

Gunter Dueck, einst Chief Technology Officer von IBM Deutschland, erweitert die digitale Erlebnisskala um den Flachsinn. Und das mit geballter kräftiger Sprache. Und Sätzen wie:

"Die schiere Masse an Flachsinnigem, das Millionen Menschen jeden Tag so leicht aus der Tastatur fließt, überdeckt alles Wichtige und Wahre immer mehr."

"Das herkömmlich Wichtige und traditionell Ernsthafte, das Komplexe, Tiefsinnige und hart Erarbeitete sind nicht mehr "cool" oder "geil."

"Das Internet führt nicht . . . zu einer Ausbildung einer einzigen großen Gemeinschaft, sondern zur Gründung unendlich vieler kleinerer Teilgemeinschaften und Interessengruppen."

"Wir finden das Irreale und Aufgebauschte langsam besser. Es belastet nicht, fordert nicht und unterhält bestens."

Für den promovierten Mathematiker, der auch als Professor lehrte, ist die Sache klar. Flachsinn ist ihm "alles kalkuliert Flache, Sensationelle, Emotionale, Scharfmachende, Niederziehende, Hetzende, Übertreibende, Lärmende und Verführende zum Zweck der Aufmerksamkeitsverwertung".

Wer Duecks Buch liest, denkt an manchen Zeitgenossen, nicht zufällig auch an den Präsidenten eines der wichtigsten Staaten der Welt. Das Buch ist nicht belehrend, sondern provokativ, intelligent, witzig und sogar stellenweise charmant geschrieben. Dahinter steckt eine klare Aussage: So geht es nicht weiter, die Verblödung wird immer globaler, das Wichtige muss wieder einen Anspruch auf Aufmerksamkeit und Sinnstiftung gewinnen. Dueck ist Agitator, Stratege, Netzaktivist, Business Angel und er will die Welt verändern. Er will nicht, dass wir alle verrückt werden im täglichen Blödsinn.

Denn wem gehört das Internet? Mehr und mehr, so Gunter Dueck, manipulierenden Politikern, Kapitalmarkthaien, Trollen, Weltrettungsfanatikern und Irren. Sie machen aus dem Netz den Basar ihrer kruden Gedanken, sie lechzen nach Anerkennung. Dueck plädiert für ein "Trust Center im Netz", also "ein Heim für vertrauenswürdige Inhalte". Weil wir eingedeckt werden mit "Störfeuer im Sekundentakt. Im Netz werden wir dauerbeschossen und viele schießen auch immer kräftiger zurück." So wird alles "schneller, lauter und dümmer. Flachsinn regiert." Der Vordenker hat schwerste Bedenken: "Wir pimpen uns, wir stellen uns heraus, wir steigern die Zahl unserer Facebook-Freunde und Follower – wir werden von einer Art Sucht ergriffen, wie sie die Zocker am Aktienmarkt befällt."

Ringen um Aufmerksamkeit

"Erst besiedeln Farmer den Westen", so Dueck, "dann kommen Goldgräber, Abenteurer und Wegelagerer und man braucht Sheriffs. Zuerst ging es im Netz um gute Inhalte, heute ringt man oft nur noch um blanke Aufmerksamkeit." Das Internet ist zum größten Selbstvermarktungsplatz der Welt geworden. Eine Sintflut an Wichtigtuerei, Selbstüberschätzung und dem Wunsch nach Anhängerschaft bei welchen Themen auch immer. Das Netz ist das "House of Attraction", jede/r will ein Star sein, irgendwie. Positive Gefühle auslösen, interessant erscheinen und überzeugen. Die "Attraktionsintelligenz" ist inzwischen bedeutsamer als die Botschaft, die ohnehin oft platter Nonsens ist. Deshalb wird alles ins Internet gepumpt, was herumgeistert, ohne Verantwortungsbewusstsein.

Duecks Buch warnt davor und fordert seine Leser auf, nicht nur der Ablenkung zu folgen, nicht nur träge zu sein, nicht nur alles hinzunehmen, sondern zu analysieren. Er verlangt mehr Vernunft. Menschen, die ihren Verstand gebrauchen und sich nicht einlullen lassen, die nicht Facebook folgen, sondern eigenen Gefühlen. "Und nun gehen wir ran an ein neues Culture Valley", heißt es am Ende. "Hier wollen wir raus."

Gunter Dueck: Flachsinn. Ich habe Hirn, ich will hier raus. Campus, Frankfurt, 262 Seiten, 20,99 Euro.

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