Revue als Zeitreise in die goldenen 20er

22.10.2019, 23:49 Uhr
Revue als Zeitreise in die goldenen 20er

© Foto: James Lyall/PR

Alexander Schmidt, seines Zeichens Historiker, der seine Dissertation genau über diese Epoche verfasst hat, führt munter durch den Abend. Er blendet viele Bilder ein und erläutert die damaligen Ereignisse aus fränkischer Perspektive. Konsum und Spaß waren angesagt. Da ist der "Schocken", den man seit 1926 als Riesen-Kaufhaus am Aufseßplatz kennt. Das markante Bauwerk - heute nicht mehr wiederzuerkennen - bot alle Waren unter einem Dach. In dem Gebäude an der Vorderen Cramergasse, das heute die Rote Bühne beherbergt, befand sich die Spielwarenfabrik Bing, berühmt für ihre Eisenbahnen. Die SPD errichtete 1929 das sechsstöckige Hochhaus in Bahnhofsnähe, in dem die "Fränkische Tagespost" untergebracht war und das heute Karl-Bröger-Haus heißt.

Stilvoll entblättern

Fabrikant Stephan Bing, der Sohn von Firmengründer Ignaz, streitet mit seiner resoluten Gattin darüber, wie man den Absatz steigern kann, während die arme Sekretärin verzweifelt. Karl Bröger tritt in seinem Redaktionsbüro bei der "Tagespost" auf und erweist sich als echter Arbeiter-Dichter, unterstützt von einer unbedarften Mitarbeiterin. Für die Kultur steht das Opernhaus, repräsentiert durch eine Schwanensee-Ballerina.

Doch auch etwas anrüchige Etablissements gab es in Nürnberg. Die Rote Bühne lädt zu einer Tour durch das Nachtleben der "Goldenen 20er". Im Wintergarten Varieté in der Luitpoldstraße, wo sogar Josephine Baker gastierte, lässt das Ensemble heute die Burlesque-Diva "Sweet Chili" performen, die sich stilvoll entblättert.

Freche Mädels im Bäckerhof

Im Apollo Theater wird gesteppt, im Bäckerhof toben die "Flapper-Girls", Mädels mit kurzen Röcken, kurzen Haaren und frechem Auftreten. Weiter geht es in "Messthalers Intimes Theater" in der Johannesgasse. Wo einst Wedekind-Stücke für Furore sorgten, lässt die rote Bühne Nazis gegen die Erstaufführung von Brechts "Dreigroschenoper" protestieren, die dort wirklich stattfand.

Julia Kempken spielt sich als Theaterdirektorin und als Frau Bing gewissermaßen selbst, resolut, kämpferisch, praktisch veranlagt. Franziska Baumann als Sekretärin steht für die aufkeimende weibliche Unabhängigkeit. Stefan Rieger gibt den Arbeiterdichter ebenso gekonnt wie den Fabrikanten. Die Tänzerinnen haben von Step über Charleston sowieso alles drauf. Eine clevere Mischung, top recherchiert und hochwertig umgesetzt.

Weitere Aufführungen: 24. November und 15. Dezember, jeweils 16 Uhr, Karten-Telefon 0911/ 216 2777

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