"Rückenwind": Mit Windkraft in den Untergang

23.8.2019, 15:01 Uhr

© Foto: Hermann Köhler

Als Pageturner bezeichnet man in der Buch-Branche einen Roman, der eine derartige Sogkraft entwickelt, dass man am liebsten alles in einem Stück durchlesen würde. Burkhard Spinnens neues Werk "Rückwind" fällt durchaus in jene Kategorie, allerdings erkauft sich der Autor diese Qualität durch mehrfaches tiefes Eintauchen in die Sphären des Boulevards.

Denn die Paar-Geschichte vom Windkraftunternehmer Hartmut Trössner und der sehr erfolgreichen Schauspielerin Charlotte Wendler, die wohl auch nicht ohne Absicht dem realen Rollenmodell Maschmeyer und Ferres oder Maas und Wörner folgt, hat in ihrer tragischen Zuspitzung das Potenzial für mindestens fünf BILD-Titelseiten: Kind stirbt bei Unfall im Hallenschwimmbad! Prominente Seriendarstellerin von Windrad-Rotor geköpft! Herr der Windräder geht krachend in die Pleite! Trössners Luxusvilla abgebrannt! Erfolgreicher Unternehmer landet in der Nervenheilanstalt!

Spektakulär, aber trotzdem nachdenklich

Allerdings muss man Burkhard Spinnen zugestehen, dass er neben dem Spektakulären auch den Anspruch hat, einen nachdenklichen Gesellschaftsroman über die Bundesrepublik seit dem Jahr 1990 zu schreiben. So verkörpert sein Protagonist den neuen Typus des grünen Unternehmers – und das am Anfang wider Willen.

Das Geschäftsmodell mit der subventionierten Windkraft geht so lange gut, bis die Chinesen in den Markt einbrechen, die Tierschützer auf verendete Vögel hinweisen und Anwohner Abstandsregeln beanspruchen.

Schon Rainald Goetz hat mit "Johann Holtrop" das eher spröde, ambivalente Bild eines Medienunternehmers gezeichnet, später erlebte bei Jonas Lüschers "Frühling der Barbaren" ein Schweizer Unternehmer die dreckige Wahrheit der globalisierten Produktion und landete ebenfalls im Irrenhaus.

Für Hartmut Trössner ragt die Tragik jedoch vor allem in den privaten Bereich und führt zu der Grundsatzfrage: "Ich will wissen, was das soll. Warum ist mir das passiert?". Hat er im Lebens-Lotto dummerweise ein "Scheißlos" gezogen?

Zugespitze Medien-Satire in einer politischen Doku-Soap-Serie

Die Figur der Schauspielerin Charlotte Wendler eröffnet die Möglichkeit zu einer zugespitzten Medien-Satire, denn sie wird (bis zu ihrem Tod) zum Gesicht einer politischen Doku-Soap-Serie über eine populistische Partei der Gegenwart. Bei der PPC (Partei der politischen Christen) verschwimmen für den unbedarften Zuschauer die Grenzen zwischen ironischer Fiktion und Realität.

Burkhard Spinnens virtuose Erzählkunst wird unterstrichen durch die spannungsreiche Konfrontation zwischen Hauptperson und vage definiertem auktorialem Ich-Erzähler ("Ich bin Trössners Coach"), der immer wieder korrigierend ins Geschehen eingreift.

Showdown in Berlin

Zudem begegnet Trössner nach der Entlassung aus der Heilanstalt im Zug nach Berlin einer mysteriösen jungen Frau (Iris? Rebekka? Ismene? Lena?), die halb Enthüllungs-Journalistin, halb neue Freundin und Lebensretterin spielt. Beim westernartigen Showdown im Berliner Finanzministerium reitet Trössner sozusagen in die Abendsonne des heißen Sommers 2018 – "wohin auch immer".

Der Autor liest am Samstag, 31. August, 18.30 Uhr, im Erlanger Schlossgarten.

Burkhard Spinnen: Rückwind. Roman. Schöffling & Co, Frankfurt. 400 Seiten, 24 Euro.

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