"Selfies": Schon Dürer inszenierte sich selbst

6.1.2021, 17:51 Uhr

© Eduard Weigert, NNZ

Eine üppige Sammlung an Selbstporträts und Porträts bedeutender Künstler sind im Germanischen Nationalmuseum (GNM) in Nürnberg zu sehen. Sonja Mißfeldt, Pressesprecherin des GNM, promoviert in Kunstgeschichte, führt durch die gemalten Selbstinszenierungen im Laufe der Jahrhunderte: "Sich darzustellen ist ein Grundbedürfnis. Eine dem Menschen innewohnende Eigenschaft", sagt sie. Schon im Spätmittelalter haben sich die Menschen auf Gemälden in Szene setzen lassen. Während heute jeder schnell das Handy zückt, um sich zu fotografieren, brauchte es damals erst einen Künstler. Und natürlich war anfangs nur weltlichen oder religiösen Würdenträgern, also Königen, Adeligen oder Kirchenoberhäuptern überhaupt möglich, sich porträtieren zu lassen. Denn nur sie waren bildwürdig.

Sich zu sehen, war überraschend

Könige oder Kaiser hatten eigene Hofmaler. Sich über Attribute wie Wappen, Reichsapfel oder Schwerter erkennbar zu machen, war wichtiger, als das Gesicht realistisch darzustellen. "Denn wer hat den Kaiser schon leibhaftig zu sehen bekommen?", erklärt Mißfeldt. "Ob er wirklich so aussah, das war nicht so relevant."

© Foto: Germanisches Nationalmuseum/Dirk Messberger

Mit Nürnbergs berühmtestem Sohn, Albrecht Dürer, begann dann die Hochphase der (Selbst-)Bildnisse nicht nur von Würdenträgern. Berühmt ist Dürers Porträt seines Lehrers Michael Wolgemut von 1516. Bemerkenswert ist, wie ehrlich er ihn darstellte. Man sieht deutlich die Spuren des Alters. Im Gegensatz zu Auftragsarbeiten, die oft beschönigend waren, konnte er hier sozusagen ohne Weichzeichner malen.

Für seine Selbstbildnisse ist Dürer berühmt. Wer sich selbst malen wollte, musste sich allerdings erst selber sehen. Flache Spiegel, wie wir sie kennen, waren im 16. Jahrhundert noch nicht erfunden. Es gab gewölbte Rundspiegel, die aber nur ein eher schemenhaftes Bild zurückwarfen. Oder man betrachtete sich in einer ruhigen Wasseroberfläche. "Sich selbst zu sehen, hatte damals einen viel größeren Überraschungseffekt", sagt Mißfeldt.

Sich in besserem Licht darzustellen, eine Hauptfunktion der sozialen Netzwerke für viele Nutzer, ist auch keine Erfindung der heutigen Zeit. Der niederländische Maler Rembrandt van Rijn stellte sich gerne in Kleidung dar, die zu gehoben für seinen Stand war. Etwa mit einer Halsberge, die Offizieren oder Adeligen vorbehalten war. "Das zeugt schon von einem gewissen Selbstbewusstsein", sagt Mißfeldt.

Wie ein Schnappschuss

Er inszenierte sich bewusst als Künstler mit ungebändigtem Haar und einer Staffelei im Hintergrund. Und auch in Rembrandts Porträts gab es schon etwas, das heute modern ist: Die Darstellung wie eine Momentaufnahme aussehen zu lassen. Auf dem Selbstbildnis von 1629 sieht er aus, als ob er nur kurz von der Leinwand zum Betrachter hersehen würde. Bald konnten sich auch Normalsterbliche mit dem nötigen Kleingeld porträtieren lassen. Etwa Ulrich Röhling, Vorsteher eines Silberbergwerks, und seine Frau. Nicht kleckern, sondern klotzen war das Motto. Auf dem Bildnis von Matthias Krodel ist das Paar zwar in unauffälligem Schwarz gekleidet, allerdings kommen dadurch die vielen Ketten und Ringe noch besser zur Geltung. "Wer sich darstellen ließ, wollte auch etwas darstellen", betont Mißfeldt.

© Foto: Germanisches Nationalmuseum, Georg Janssen

Tiere gehen auf Facebook und Instagram bekanntlich immer. Hunde waren auch früher auf Porträts ein beliebtes Motiv. Männer ließen sich gerne mit Jagdhunden malen. Frauen mit Schoßhündchen, die auch ein Symbol für eheliche Treue waren.
Ärzte posten sich in den sozialen Medien im Krankenhaus-Dress, Journalisten zeigen sich mit dem Laptop und Friseure mit Scheren. Dinge, die dem Besitzer wichtig waren, seinen Berufsstand oder seine Leidenschaft zeigten, wurden im 19. Jahrhundert vermehrt in die Bilder aufgenommen. Eine Opernsängerin wurde etwa mit Notenblatt in der Hand gemalt, ein Lesefreund zeigt sich mit Buch und Brille.

Frühes Fashion Victim?

Caroline Freifrau vom Gumppenberg Pöttmes würde man heute vielleicht als Fashion Victim bezeichnen. Sie ist in einem blauen Kleid mit großen Schleifen gemalt. Den Arm hält sie so, dass die goldenen Reifen nicht zu übersehen sind. Im Hintergrund des Ölgemäldes von Joseph Karl Stieler ist ein Laubengang zu sehen. Vermutlich eine Andeutung ihres Landsitzes. "Man zeigte auch damals, wie man wohnte und wo", sagt Mißfeldt. Und ließ sich auch gerne vor beeindruckender Landschaft malen. "So wie man sich heute vor einem Wasserfall fotografieren lässt", zieht Mißfeldt den Vergleich.

© Foto: Germanisches Nationalmuseum, Sebastian Tolle

Ein bemerkenswertes "Posie" aus dem 19. Jahrhundert ist die Darstellung der Gräfin von Fries mit dreien ihrer Kinder. Auf dem Bild von Josef Abel scheint alles in Bewegung. Die Gräfin hat den Kopf vom Betrachter abgewandt, zu einem ihrer Mädchen hin, das sich gerade an ihren Hals zu hängen scheint. Auch dieser "Schnappschuss" ist in vielen Stunden entstanden. Weil man die Pose so lange halten musste, sind die Personen oft sitzend gemalt, den Arm auf eine Säule oder eine Armlehne gestützt. Selbst als die Fotografie Mitte des 19. Jahrhundert erfunden wurde, musste man lange ausharren. 15 bis 20 Minuten – wenn es schnell ging. Es gab deshalb extra Stühle mit Nackenstütze.

Auch heute stecken hinter den spontan wirkenden Aufnahmen, dem lässigen Selfie oder dem verliebten Pärchenbild vor traumhafter Kulisse oft lange Inszenierungen. Während unsere zahllosen Selbstaufnahmen aber irgendwann im Datennirwana verschwinden werden, waren die Bildnisse von damals auf die Ewigkeit ausgelegt. Bis heute werden die Abgebildeten im Museum bewundert. Vielleicht ja auch von Ihnen, wenn es wieder geht. Freifrau Caroline würde sich bestimmt freuen.

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