Sie war dann mal weg

25.5.2020, 15:37 Uhr

Bei Achleitner können wir das Ausbrechen lernen. Aus dem Hamsterrad des Alltags, der Karriere, der Beziehung – ja, in seinem Fall sogar aus dem Korsett seines bekannten Namens. Der Musiker Hubert von Goisern hat seinen ersten Roman „Flüchtig“ jetzt unter seinem eigentlichen Namen Achleitner veröffentlicht.

Liest sich schon seine persönliche Biografie wie ein passionierte Anleitung zur Flucht ins Unbekannte – seine Reisen, etwa zu Jane Godell nach Afrika, seine Auszeit im Tibet, seine Flussschifftourneen durch den Balkan und auf dem Rhein –, so hat der Österreicher auch den Protagonisten seines Romans einen abenteuerlichen Aufbruch verpasst.

„Flüchtig“ sei kein autobiografisches Buch, heißt es. Aber packend viel von der Poesie und der Neugierde, die auch Achleitners Musik jenseits abgedroschener Austrorock-Pfade immer ausmacht, steckt in und zwischen den Zeilen. Um das Buch zu schreiben, habe er vor zwei Jahre alle Musikinstrumene weggeräumt und aus seinem Blickfeld verbannt, sagte Achleitner in einem Interview.

Das erste Wagnis des Romans, der als Roadmovie am Attersee beginnt und durch Südeuropa bis nach Griechenland führt, besteht schon darin, dass Achleitner sich vornahm, aus einer weiblichen Perspektive zu schreiben. Als Maria, die seit 30 Jahren in einer Ehe mit Herwig war. Von heute auf morgen bricht sie alle Kontakte ab. Schnappt sich seinen Volvo und fährt los.

Okay, dieses Erzählgerüst ist wenig originell. Aber Achleitner versteht es, es mit Leben zu füllen. Sein Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig. Oder nennen wir es besser: herzlich heraus. Die österreichische Sprachmelodie im Hochdeutschen wiederzugeben, ist schwierig. Auch dieses Risiko geht der Autor ein, der nie einen Hehl aus seiner Herkunft machte. Kann so gute Belletristik entstehen?
Ja, aber Achleitner überzeugt weniger als großer Stilist ist, denn als großartiger Geschichtenerzähler.

Maria trifft auf die viel jüngere Lisa, die ihre Reisegefährtin wird. Herwig hatte seit Jahren eine Affäre mit Nora, die nun schwanger ist. Es gibt die griechischen Fischer, deren hemingwayhafte Stories Achleiter so erwärmend erzählt, als säße er am Lagerfeuer. Und obwohl er die Kapazität eines Unterhaltungsromans zuweilen etwas überlädt, wenn er auch noch die Vertriebenengeschichten von Großeltern hineindrückt, gelingt ihm doch ein erzählerischer Sog mit Charme.

Die Musikgeschichte der 70er und 80er Jahre klingt an. Die Beziehungshürden jahrelanger Paare nicht minder. „Flüchtig“ hat aber auch etwas Generationsübergreifendes, denn Herwig arbeitet als Lehrer. Dass er ein Kiffer vor dem Herrn ist, wissen seine Schüler nicht. Müssen sie auch nicht. Aber dem Roman schenken die Lehrer-Schüler-Dialoge die Chance, über Lebensentwürfe schon im jungen Alter nachzudenken.

Das Glück ist im Wortsinn „flüchtig“ in diesem Roman, der auch ohne das Wissen um die musikalische Prominenz seines Autors insgesamt gut funktioniert. Schreibenden deutschen Musikern wie Sven Regener oder Thees Uhlmann ist Achleitner ein österreichisches Pendant. In „flüchtig“ flieht man gern – auch als Leser.
Christian Mückl

Hubert Achleitner: Flüchtig. Zsolnay, 304 Seiten, 23 Euro.

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