Cancel Culture

Skandal um Dreadlocks? "Die Kulturpolizei schlägt wieder zu"

26.3.2022, 16:11 Uhr
Musikerin Ronja Maltzahn

© facebook Musikerin Ronja Maltzahn

Es ist mal wieder an der Zeit, dass man heftig den Kopf schüttelt, sich die Haare rauft und einen dieser verzweifelten Urschreie loslässt. Denn die Aktivisten sind von der Leine, die Aufpasser rufen "Skandal!" und alle, die auch sonst nichts Bedeutendes beitragen, melden sich zu Wort. Zwei jüngste Fälle:

In München steht Ernst Kreneks Oper "Jonny spielt auf" auf dem Spielplan des Gärtnerplatztheaters und Regisseur Peter Lund hat einem weißen Sänger das Gesicht schwarz anmalen lassen. Die Forderung, das Stück abzusetzen kam umgehend von besorgten Kulturwächtern, die bei dieser Schminkaktion den Tatbestand des "Blackfacing" erfüllt sehen.

Kulturelle Aneignung

Auch um den Kopf geht es in Hannover. Dort war eigentlich bei einer Demonstration ein Auftritt der Musikerin Ronja Maltzahn vorgesehen, was die veranstaltende Bewegung "Fridays for Future" jetzt aber vereitelte. Denn die deutsche Künstlerin trägt eine mächtige Dreadlock-Pracht und das wird von den Organisatoren als "kulturelle Aneignung" geächtet.

Schon wieder wird aus Pipifax (Fall Dreadlocks) ein riesiges Tohuwabohu gemacht, und schon wieder maßen sich selbsternannte Kulturpolizisten Urteilsmacht an in einer Sache (Fall Oper), von der sie anscheinend überhaupt nichts verstehen.

Der Vorfall in Hannover wird nicht weniger lächerlich, wenn die agilen Freitags-Futuristen darauf hinweisen, dass sie sich auf ihrer Demo streng antikolonialistisch und antirassistisch geben wollen. Auf dem Kopf der alles andere als kahlen Sängerin wird ein völlig überzogener Kulturkampf um astreine Gesinnung ausgetragen, eine ethnische Übergriffgkeit an den verfilzten und ungekämmten Haaren herbeigezogen von Tugendbolden, die auch den kleinen schwarzen Jungen aus Kinderbüchern verbannen wollen und wie Sprachhüter auf die Pirsch gehen, um Gender-Verbrecher zu jagen. Und wenn ich als weißer alter Mann es noch einmal wage, bei Bob Marley mit dem Fuß zu wippen, kann ich demnächst wohl mit Reggae-Entzug nicht unter drei Jahren rechnen.

Anders, komplizierter und bedenklicher die Sache in München. Hätten die Aufschreier nur einmal in Ruhe nachgelesen, bevor sie zum Sturm bliesen. Kreneks Werk, in dem ein schwarzer Amerikaner in einem vom Umsturz geprägten Europa im Mittelpunkt steht, wurde 1928 uraufgeführt. Die Nazis störten damals die Vorstellung vehement, warfen Stinkbomben, stänkerten selber gegen "entartete Musik" und grölten "Rassenschande!".

Regisseur Lund nun wollte, 100 Jahre nach der Uraufführung, auf die damalige Situation hinweisen, wollte thematisieren, wie und warum es zum Skandal um die Vorstellung kam, in der wie ehedem üblich eben auch ein weißer Sänger schwarz angemalt wurde. Kontextualisierung nennt man diese Vorgehensweise, bei der keinesfalls bedenkenlos der Schminkkasten geöffnet, sondern versucht wird zu dokumentieren, auf welch brüchigem, bald gefährlichem Niveau man sich da bewegte. Hier sollten nicht Menschen verletzt werden, hier wollte man dagegen aufzeigen, was geschieht, wenn Menschen mit ideologischer Wut auf Andersdenkende losgehen.

600 Kulturschaffende haben unterdessen einen offenen Brief unterschrieben, in dem die Absetzung der Oper am Gärtnerplatz gefordert wird: "Alle Münchner:innen" sollen den Vorstellungen dieser Produktion fern bleiben." Das Haus hat nachgegeben: Seit der dritten Vorstellung bleibt die schwarze Schminke im Topf.

Es ist müßig, über die Beweggründe dieser wieder einmal erfolgreichen Moralapostel mit ihrer politisch so korrekten und quasireligiösen Sehnsucht nach einer sauberen, keimfreien Sternchen- und "innen"-Welt nachzudenken. Auffallend ist allerdings, wie sich die Szene radikalisiert: In einem Video, das auf Youtube zu sehen ist, werden die Mitarbeiter des Produktionsteams als "rassistische Hurensöhne" bezeichnet.

Regisseur Lund sagte vor der Premiere: "Am allermeisten möchte ich erzählen, dass der Nationalsozialismus uns etwas ganz Kostbares weggenommen hat: die Leichtigkeit".

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