Umjubelte Ballett-Premiere im Schauspielhaus

17.6.2019, 17:36 Uhr
Umjubelte Ballett-Premiere im Schauspielhaus

© Foto: Bettina Stöß

Der bei der Premiere im Schauspielhaus mit Riesenapplaus gefeierte Abend versammelt zwölf Stücke, davon zwei in Teamarbeit entstanden,  die witzig und frech, poetisch, fantasievoll und souverän auch in der Musikauswahl und bei den Kostümen, von dem enormen Potenzial, das dieses Ensemble über seine tänzerischen Qualitäten hinaus hat.

Ausgerechnet das mit Richard Dawkins’ recht sperriger Memtheorie unterfütterte Stück "Beat the Meat" von Joel Distefano und Nobel Lakaev wird zum irrwitzigsten Hit des Abends. In weiße Ganzkörperkondome gehüllt staksen die zwölf Tänzerinnen und Tänzer über die Bühne, robben rücklings am Boden, verkörpern gleichsam jene Meme, die bei Dawkins als permanent transformierte Informationen die kulturelle Evolution bestimmen. Ein Prozess, der in den sozialen Medien rasend schnell passiert, in früheren Kulturen dagegen auf mündlicher Überlieferung basierte.

Umjubelte Ballett-Premiere im Schauspielhaus

© Foto: Bettina Stöß

Wie Distefano und Lakaev ihr Ensemble zwischen diesen zwei Welten hin- und hertreiben, sie im wilden Tanz zum rituellen Kreis vereinen, dann zur ekstatischen Disco-Gemeinde, sie als Herde über die Bühne schicken, reißt das Publikum mehrmals zu Lachern hin.

Dabei beginnt der Abend klassich, mit Mozart-Musik und Spitzentanz, der in Daniel Roces’ geschmeidiger, temporeicher Choreografie absolut zeitgemäß wirkt. Roces’ überträgt den Kampf der Geschlechter auf die Insektenwelt und lässt in den flexiblen Pas de deux’ am Ende die Frauen triumphieren. Ähnlich wie der Spanier hier zu seinen Wurzeln im klassischen Ballett zurückkehrt, besinnt sich Andy Fernández auf seine Anfänge im Breakdance und fesselt mit einer artistischen, zugleich spürbar sehr persönlichlichen Performance.

Vor allem die erste Hälfte von "Exqusite Corpse IV" ist ein Feuerwerk der Kontraste. Ballettchef Goyo Montero hat die disparaten Geschichten und Bewegungssprachen fließend miteinander verbunden und setzt dabei nicht auf Homogenität, sondern auf spannungssteigernde Abwechslung.

Laura Armendariz hat ihren Freunden Esther Pérez und Lorenzo Toro, die Nürnberg verlassen, ein hinreißendes Abschiedsgeschenk auf den Leib geschneidert, das sehr witzig und slapstickhaft beginnt und berührend innig endet. "Sheket" (Stille) von Tal Eitan ist ein so wehmütiges wie zärtliches Stück.

Vom Ringen um weibliche Solidarität erzählt Stefanie Pechtl, begleitet von einer Musikcollage aus Elektrobeats und Jules Massenets "Meditation" als Cello-Variation. Sofie Vervaecke beendet den ersten Teil mit einem zauberhaft spielerischen und sehr physischen Stück, das die pure Lust am Tanz feiert, gespickt mit feiner Ironie.

Auch nach der Pause geht es mit viel Leidenschaft weiter – Isidora Markovic’ erinnert sich an ihre Kindheit, Rachelle Scott zeigt ein düsteres, politisches Stück, Luis Tena führt seine vier Tänzerinnen in die selbstbestimmte Freiheit. Ein Highlight ist Alexsandro Akapohis furiose Beschwörung unserer inneren Monster, die in "Inferno" mit ihren Langhaarmähnen um Erlösung ringen. "Free Willy – Hetwich" von Nuria Fau und Esther Pérez scheut auch vor übermütigen Albernheiten nicht zurück. Ein turbulenter, bunter Spaß, der in ein schönes Finale mit allen Beteiligten mündet.

Den Reifetest hat Goyo Monteros Compagnie mit "Exquisite Corpse IV" einmal mehr bestanden. So viel Leidenschaft und Experimentierfreude erlebt man selten an einem Abend. Das Publikum im vollbesetzten Schauspielhaus bedankte sich mit riesigem Applaus, den erst der fallende Vorhang beenden konnte.

Weitere Aufführungen: 20., 22., 26. und 28. Juni; Karten-Tel.: 09 11/ 2 16 27 77.

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