Umjubelte "Sex.Arbeit"-Premiere am Nürnberger Staatstheater

26.1.2020, 12:22 Uhr
Umjubelte

© Foto: Konrad Fersterer

Schon vor der Premiere hat das Stück alle Klischees erfüllt: Sex sells!, viel mehr Medien als sonst widmeten dem Projekt Vorberichte. Wenzel Winzer, Regieassistent am Staatstheater, hat sich für diese erste eigene Inszenierung ein Jahr lang mit den Vorurteilen über das älteste Gewerbe der Welt beschäftigt, sie hinter- und Prostituierte gefragt, was denn wirklich passiert hinter den rot beleuchteten Türen. Viele Stunden Gesprächsprotokolle sind in seinen Text eingeflossen. Der ist aber alles andere als eine trockene Dokumentation, sondern ein dramaturgisch geschickt gestricktes, witziges, mit den Protagonistinnen aber respektvoll und mit der Materie ehrlich umgehendes Stück.

Sind sie nur Opfer

In der 3. Etage des Staatstheaters ist die Bühne von Tanja Berndt erwartungsgemäß rosa-plüschig gestaltet, die Zuschauer schlüpfen erstmal durch einen Lamettavorhang, bevor sie das "Etablissement" betreten. Die drei wunderbaren Darstellerinnen Adeline Schebesch, Anna Klimovitskaya und Lisa Mies sind leicht, aber nicht übertrieben sexy bekleidet – und verteilen zunächst mal mit mitleidigem Blick und fürsorglicher Hand Aufklärungs-Flyer an die Frauen im Publikum. Gleichzeitig spielen sie eine Razzia durch und fragen nach Notruf-Schaltern und getrennten Toiletten für Nutten und Freier.

Die Sex-Arbeiterin als potenzielles Opfer? Klischee Nummer eins, das bald entblättert ist, denn der größte Teil der Frauen arbeitet freiwillig, vielleicht sogar gern in diesem Metier. "Natürlich hab ich Spaß am Sex, das wäre sonst eine ganz mühselige Arbeit", sagt eine.

In einer Talkshow werden später die feministische Verteidigerin weiblicher Würde und die stolze Sex-Anbieterin aufeinandertreffen – und schnell wanken Überzeugungen, denen wir alle anhängen. Macht man sowas aus freien Stücken? "Ich kann als billige Pflegekraft Scheiße aufwischen oder als Prostituierte. Da ist halt der Stundenlohn besser!", sagt die Sex-Anbieterin. Aber sind sie nicht, wenn nicht vom Zuhälter, dann vielleicht von einer finanziellen Notlage gezwungen? Nein, dem muss nicht so sein. Und dennoch gibt es einen Prozentsatz von missbrauchten oder abhängigen Frauen, die Hilfe brauchen. Aber das Prostituierten-Schutzgesetz hat nicht nur positive Folgen für die meisten in der Branche.

Die Darreichungsformen dieser uralten Dienstleistung sind unendlich variabel. Jeder noch so schräge Wunsch ist erfüllbar, "Nein-Sagen-Können ist dabei aber essenziell", lernt man. ",Ist Prostitution gut?’, fragen wir. Und die Prostitution antwortet immer mit einer Gegenfrage: ,Wie gut ist denn der Rest der Welt?’" Mit solchen Zwickmühlen beschäftigt sich der ganze Abend und ist dabei keine Minute langweilig.

Denn schließlich hat Wenzel Winzer genügend witzige Bilder gefunden für die Szenen: Da wird das mit rotem Gummi überzogene Mirkofon zum professionell bearbeiteten Subjekt männlicher Begierde, da wird lockend gegurrt im Anwerbe-Modus, da plaudert Schebesch mit fränkischem Zungenschlag aus dem Puff-Alltag eines ganzen Dienstleisterinnen-Lebens.

Spätestens da wird klar: Ohne die freimütigen Erzählungen der erfahrenen Sex-Arbeiterinnen aus dem Nürnberger Rotlichtmilieu, den Dominas und Sklavinnen aus der ganzen Republik, die Winzer ungewohnte Einblicke gewährten, wäre dieses Projekt im Klischee stecken geblieben. Und fröhlich gluckst dann auch eine Fachfrau im Publikum, die sich offensichtlich wiedererkennt.

"Sex.Arbeit" ist ein Theater-Vergnügen und ein gelungenes Stück Aufklärung – nicht über Sex an sich, sondern über seinen Wert als Ware.

Weitere Aufführungen am 18. Februar und 17. März, Karten-Telefon: 0911/216 27 77.

www.staatstheater-nuernberg.de

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