Vor dem Konzert in Forchheim: Sting im Gespräch

24.5.2019, 11:23 Uhr
Vor dem Konzert in Forchheim: Sting im Gespräch

© Foto: Tobias Schwarz/afp

Sting, stimmt es, dass Ihnen die Idee zum Album "My Songs" kam, als Sie Ihr Stück "Brand New Day" für einen Silvesterauftritt am New Yorker Times Square überarbeiteten?

Ja, das war der Ursprung des Ganzen. Wir hatten so viel Spaß mit "Brand New Day", dass ich dachte, womöglich wäre es auch lustig, sich die anderen Songs vorzunehmen und zu gucken, ob wir sie anders oder zeitgemäßer machen können als damals. Zweifelsohne klingt meine Stimme heute anders als vor 20, 30 Jahren, sie ist geschmeidiger und reicher strukturiert, hat eine tiefere und facettenreichere Qualität. Auch Aufnahmetechniken haben sich verändert. Mein musikalisches Gefühl ist heute auch ein anderes. Ich sage nicht, die neuen Versionen sind besser oder schlechter als die anderen. Ich sage nur, sie sind anders.

 

War es für Sie eine leichte Übung, zu jenen Songs zurückzukehren, die Sie zum Teil vor 40 Jahren geschrieben haben?

Ja, denn diese Songs und ich, wir sind uns sehr vertraut. Ich singe diese Lieder schließlich Abend für Abend bei der Arbeit. Und ich singe sie leidenschaftlich gern. Ich bin mir sicher, ich kenne meine Lieder heute besser als früher. Einige der Nummern haben wir kaum verändert, andere recht stark. Immer so, wie es sich richtig und gut anfühlte. Regeln gab es nicht.

Sind Ihre Songs Ihre Freunde?

Mir sind sie jedenfalls alle sehr sympathisch (lacht). Wenn du einen neuen Song aufnimmst, ist das der Beginn einer Beziehung, das ist aufregend, aber du weißt noch nicht, wie sich diese Beziehung mit der Zeit entwickeln wird. Eine Beziehung, die über viele Jahre besteht, ist etwas ganz anderes. Da ist mehr Wissen, tatsächlich auch mehr Liebe, aufrichtige, tiefe Liebe. Und nicht mehr nur ein bloßes Hingerissensein.

Haben Sie eigentlich ständig neue Songideen im Kopf?

Oh nein, das wäre schön. Das mit den Songs ist wie Angeln. Manchmal beißt einer an, manchmal nicht. Wichtig ist nur, dass du immer schön nah am Fluss sitzen bleibst, also offen und bereit bist, wenn dir die Inspiration begegnet, aber es gibt keine Garantie. Jedes Mal, wenn ich einen Song fertiggestellt habe, frage ich mich, ob es wohl der letzte war. Denn es könnte ja wirklich sein.

Im Ernst?

Ja, natürlich (lacht). So ticke ich aber ohnehin. Ich frage mich auch bei jeder Mahlzeit, ob es wohl die letzte sein könnte. Das Zusammenspiel von Leben und Tod fasziniert mich. Und daraus folgt: Genieße, was du hast. So lange du es hast.

Eine gute Philosophie, um durchs Leben zu kommen?

Aus meiner Erfahrung ja. Aber ich habe dieses Konzept natürlich nicht erfunden. Das waren die Stoiker aus dem alten Griechenland.

Sie identifizieren sich mit dem Stoizismus?

Schon, ja. Ich habe die "Meditationen" von Marc Aurel gelesen. Er plädiert darin für ein einfaches Leben und für die Akzeptanz der guten wie der schlechten Zeiten. Mein eigenes Leben hatte früher einige extreme Höhen und Tiefen zu bieten – es war bisweilen sehr dramatisch. Heute begnüge ich mich gern mit einem langsamen, sanften Anstieg. Ich bin glücklich und zufrieden, so lange mich das Leben nicht an eine steile Klippe führt.

Aber aufwärts soll es schon noch gehen?

Ja, ich möchte mich weiterentwickeln und meine Arbeit gut machen. Mit dem Alter habe ich festgestellt, dass ich eine größere Gelassenheit bekommen habe. Ich bin irgendwie, sagen wir, weiser und akzeptiere die meisten Dinge heute leichter als früher.

Die Jugendlichen gehen jetzt gegen Erderwärmung und Umweltzerstörung auf die Straße.

Die Jugend macht was, aber die Politik nicht. Die Politiker scheinen sich alle mehr darum zu sorgen, an der Macht zu bleiben, als etwas gegen die größte existenzielle Krise zu unternehmen, die wir auf diesem Planeten jemals hatten. So lange die Politiker das alles ignorieren und aussitzen, können wir wenig tun. Ich kann letztlich nur an die Menschen appellieren, für jene Politiker zu stimmen, die das Problem angehen.

Am Wochenende ist Europawahl. Als Brite dürfen Sie überraschenderweise noch mitwählen.

Ja, und das werde ich tun. Ich wähle immer, wenn ich dazu aufgerufen bin. Ich habe vor drei Jahren für den Verbleib in der EU gewählt, und ich weiß, nicht, was passiert, aber irgendwie hoffe ich immer noch, dass wir irgendwie in der Gemeinschaft bleiben. Ich sehe einfach keinen Grund, die EU zu verlassen.

Die Mehrheit war anderer Ansicht. ..

Gut möglich, dass wir inzwischen in der Mehrheit sind. Ich finde, es muss ein zweites Referendum geben, jetzt, wo die Informationen und die Nachteile auf dem Tisch liegen. Ich denke, jetzt würden die Menschen klüger abstimmen.

Was sind Sie? Brite? Europäer? Weltbürger?

Ich bin ein Brite, der für Europa einsteht.

 

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