Wachtürme der Tyrannei

17.10.2010, 22:48 Uhr
Wachtürme  der Tyrannei

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Die packende, musikalisch glänzende Aufführung von Händels abendfüllendem Oratorium „Israel in Egypt“ in der Egidienkirche scheute weder naheliegende, aktuelle Bezüge – noch wurden diese vordergründig bedient. Freilich läuft der ruhige Bilderfluss, den Videokünstler Christoph Brech aus eigenwilliger – gleichsam „verflüssigter“ – Perspektive beisteuert, auch kaum Gefahr, sich jemals einseifen zu lassen vom Schaum hoch gekochter, gleichwohl brisanter gesellschaftlicher Debatten.

Insofern bieten auch die mächtig emporragenden Atommeiler gleich in der ersten Szenerie nur einen Anlass für die betont gelassene Befragung der Ausgangslage – und eben nicht für ein aufgebrachtes Verhör mit der Gegenwartskultur. Nicht konfrontativ untersucht Brech also behutsam und beharrlich die Bewegungsmöglichkeiten und Bewegungsmuster des Einzelnen – inmitten einer bedrohlich statisch wirkenden und doch ununterbrochen veränderlichen Kulisse.

Zwischen abstrakt und konkret

Die Symbolkraft seiner scheinbar geronnenen, jedoch im Wandel begriffenen Bilderwelt bleibt stets deutlich – und tanzt doch sehr gewandt auf der Schwelle zwischen Konkretem und Abstraktem. Weiß und türkis schimmert die Zukunft der Unterdrückten im gelobten Land – schwarz und zähflüssig wie Erdöl schwappt Furcht und Grauen an die Wachtürme der Tyrannei.

Der historische Perspektivenwechsel erfordert Geduld und Zeit: Aufgeladene Emotionalität obliegt noch immer der Musik. Das bei aller Vitalität in der Rhetorik zugleich mit viel Ausgeglichenheit und Übersicht phrasierende Münchner Musica Antiqua-Ensemble L’Arpa Festante bringt dafür die notwendige Deutlichkeit mit – und überzeugt mit wohl gerundeten Klangkonturen in den Bläserchören, zart aufblühenden Holzbläsern, zupackenden Streichern.

Kontrastreich und dabei mit Spürsinn für feine Nuancen entfaltet Egidienkantorin Pia Praetorius die majestätische Wucht im Dialog der beiden sich gegenüber stehenden Chöre. Den zweigeteilten Egidienchor ergänzen entsprechend hochkarätige Solisten: Die beiden Sopranstimmen Gerlinde Sämann und Gunhild Lang-Alsvik sowie Countertenor Alex Potter und Tenor Andreas Post – und die beiden Bässe Klaus Schredl und Raimund Nolte, deren süffig vorgetragenes Duett „The Lord is a man of war“ um Begeisterung werben durfte.

Für die in der heutigen Wirklichkeit angekommene, bezugsreiche wie musikalisch glänzende Aufführung gab es lang anhaltenden Applaus.