Warum Filme wie "Aristocats" nicht harmlos sind

3.3.2021, 16:54 Uhr
Die Kriegerin Raya sucht Hilfe bei der magisch-mythischen Drachendame Sisu: Szene aus dem Animationsfilm "Raya und der letzte Drache".

© Disney+/dpa Die Kriegerin Raya sucht Hilfe bei der magisch-mythischen Drachendame Sisu: Szene aus dem Animationsfilm "Raya und der letzte Drache".

"Dumbo", "Dschungelbuch", "Aristocats" - lange galten diese Filme als harmlose Kinderklassiker. Dabei stecken darin viele ungute Klischees bis hin zum Rassismus, etwa in "Peter Pan", wo amerikanische Ureinwohner als Rothäute bezeichnet werden. Der Streamingdienst Disney+ schränkte den Zugriff für Kinder deshalb ein und macht mit Hinweisen auf Stereotype und negative Darstellungen von Menschen und Kulturen aufmerksam. Doch reicht das? In vielen Filmen dominieren immer noch westliche, weiße Standpunkte, und Menschen anderer Kulturen und Hautfarben spielen kaum eine Rolle.

Das will Produzentin Osnat Shurer ("Vaiana") mit "Raya und der letzte Drache" besser machen, zu sehen ab Freitag (5. März) bei Disney+ mit VIP-Zugang. Ihr Film taucht in die vielfältige Kultur Südostasiens mit ihrem reichen Schatz an Märchen und Mythen ein. Raya will darin ihre Heimat Kumandra mit Hilfe einer Drachenfrau vor bösen Geistern retten. Die kämpferische, selbstbewusste Raya räumt auf mit dem Klischee des tugendhaften, hübschen, perfekten Mädchens. Sie braucht keinen Prinzen, der sie rettet und sie liebt. Europäische Märchenprinzessinnen wie Dornröschen lässt Raya ziemlich farblos aussehen.

Starke Frauenfiguren

Adele Lim war als Drehbuchautorin dabei und genoss es, über etwas zu schreiben, was ihr vertraut war. Sie kommt aus Malaysia und liebt die Kultur, die Geschichte und die Traditionen Südostasiens. "Aber wenn man dort aufwächst, hat man manchmal das Gefühl, dass wir auf der globalen Bühne unsichtbar sind", bedauert Lim. Ihr Eindruck: "Dein Gesicht und deine Geschichte gehören da vielleicht nicht hin".

Was Lim, Shurer und das restliche Team entwickelten, waren vor allem die starken Frauenfiguren, allen voran Raya. "Wir haben eine große Tradition von starken Kriegerinnen und Anführerinnen", erklärt Lim. Westliche Zuschauer seien es oft nicht gewöhnt, eine kraftvolle Heldin im Mittelpunkt einer Geschichte zu sehen. Dabei sei die Welt zur Hälfte weiblich. "Ich finde es verrückt, dass sich das nicht in den Geschichten widerspiegelt."

"Nicht ohne uns"

Es ist nicht zuletzt der Wunsch, sich selbst in den Geschichten wiederzufinden, der auch Lim antreibt. "Lass uns versuchen, Geschichten über uns nicht ohne uns zu erzählen", sagt die Autorin. Denn selbst wenn westliche Schauspieler und Filmteams etwa in Thailand oder auf Bali drehen, geht es oft nur um ihre Geschichte. Die Kultur und die Menschen dort? Häufig nur als fotogener Rahmen oder in der Opferrolle.

Das erfuhr auch Thelma Buabeng. "Früher wurde ich hauptsächlich angerufen, wenn man mich als Putzfrau, Dienstmädchen oder Sklavin besetzen wollte", sagte die schwarze Schauspielerin, die den YouTube-Channel "Tell Me Nothing From The Horse" betreibt und im SWR "Five Souls, eine Talkshow" mitmoderiert, kürzlich dem "Spiegel". "Es war egal, dass ich im Rheinland aufgewachsen bin, perfekt Deutsch spreche, witzig und selbstbewusst bin." In letzter Zeit habe sie auch Anwältinnen, Direktorinnen oder Polizistinnen gespielt. Und sie ist bei der ZDF-Kindersendung "Löwenzahn" dabei. "Dass Kinder mich im Fernsehen als Journalistin sehen, ohne dass meine Hautfarbe oder Herkunft thematisiert wird, das ist natürlich toll." Überwunden ist Rassismus aber in ihren Augen noch lange nicht. "Die meisten weißen Menschen checken nichts."

Singende Katzen

Doch was richten Stereotype an? Schwarze als Putzleute, Sklaven oder Opfer, die von Weißen gerettet werden. Eine singende Katze am Klavier, deren starker Akzent die chinesische Sprache und Kultur ins Lächerliche zieht wie in "Aristocats". Oder bei "Dumbo" die tanzenden und singenden Krähen, eine Parodie auf die Sklaven auf Plantagen.

Alles andere als harmlos, warnen Experten. "Begegnen Kinder hier zum ersten Mal Menschen und Kulturen, die sich von ihrer eigenen unterscheiden, prägen sie sich das Bild und die Eigenschaften, die den anderen zugewiesen werden, besonders tief ein", sagt etwa die Medienwissenschaftlerin Maya Götz, die in München das Internationale Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) leitet. "Die ersten Eindrücke sind besonders resistent gegenüber Veränderungen. Entsprechend sensibel sollte ein Kinderprogramm mit Klischees und Stereotypen von Menschen und Kulturen umgehen."

Wo verbergen sich Vorurteile?

Ganz ohne Verallgemeinerungen geht es zwar nicht. Selbst super aufgeklärte Menschen müssten darauf zurückgreifen, um Entscheidungen zu treffen, erklärt die Filmwissenschaftlerin Michaela Krützen. Aber: "Man kann sie sich bewusst und deutlich machen". Wo verbergen sich Vorurteile, Abwertungen oder Rassismus? Das will sie auch den Studenten an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in München nahebringen. "Der Job ist, den Studierenden die Augen zu öffnen".

Wie also umgehen mit den alten Filmklassikern? Disney will mit den Hinweisen dazu anregen, sich mit Themen wie Rassismus, Vorurteilen und den dunklen Kapiteln der Geschichte zu beschäftigen. "Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber wir können sie anerkennen, daraus lernen und uns weiter entwickeln", schreibt das Unternehmen auf einer eigens geschaffenen Internetseite. Götz rät Eltern dennoch zur Vorsicht. Filme wie "Schneewittchen" oder "Cinderella" seien zwar Kulturgut. "Ich würde sie aber nicht für Vorschulkinder und sensible Erst- und Zweitklässler empfehlen, da sich in diesem Alter stereotype Weltsichten besonders nachhaltig verfestigen."

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