Neue Nationalhymne gesucht

Warum mir nicht nur am Einheitstag "Goodbye Johnny" lieber ist als das "Lied der Deutschen"

2.10.2021, 08:55 Uhr
Deutsche Symbolwelt: Ein Trabbi mit Wackeldackel im Heck steckt in einer Wand. Totalschaden? Eine neue Nationalhymne täte dem seit 1990 vereinten Deutschland ebenfalls gut.

© Foto: Imago Deutsche Symbolwelt: Ein Trabbi mit Wackeldackel im Heck steckt in einer Wand. Totalschaden? Eine neue Nationalhymne täte dem seit 1990 vereinten Deutschland ebenfalls gut.

Fast schon staatsmännisch: Hans Albers in feiner Garderobe. Und wenn er "Goodbye Johnny" singt, dann ist das hymnentauglich.

Fast schon staatsmännisch: Hans Albers in feiner Garderobe. Und wenn er "Goodbye Johnny" singt, dann ist das hymnentauglich. © Hans-Joachim Winckler

Ganze 31 Jahre ist Deutschland an diesem 3. Oktober vereint. Und ich kann mich immer noch nicht damit anfreunden, dass wir uns aus diesem Anlass keine neue Nationalhymne gegönnt haben.

Musikalisch hat mir die Hymne der ehemaligen DDR stets besser gefallen als die 3. Strophe des Deutschlandlieds. Und auch symbolisch: ein neues Lied, ein neuer Text, das war für den Neuanfang nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs angemessener, als das „Weiter so“ in der alten Bundesrepublik.

Serviervorschlag zum Tag der Deutschen Einheit: Tortenstücke in den Farben der Nationalflagge. Dazu vielleicht ein Piccolo "Rotkäppchen"-Sekt? Oder doch lieber Sekt "Rheingold"?

Serviervorschlag zum Tag der Deutschen Einheit: Tortenstücke in den Farben der Nationalflagge. Dazu vielleicht ein Piccolo "Rotkäppchen"-Sekt? Oder doch lieber Sekt "Rheingold"? © Foto: Florian Mangold

Klar, von Fallerslebens Text stammt aus der Zeit des Vormärz und der demokratischen Einigungsbewegung. Aber schon die Melodie von Haydns „Kaiserhymne“ steht für die Huldigung der Monarchie. Im Ersten Weltkrieg wurde die Strophe „Deutschland, Deutschland über alles“ von der Obersten Heeresleitung patriotisch vereinnahmt. In der Weimarer Republik war das Deutschlandlied zwar Hymne, aber die Feinde jener Republik texteten eine finstere, inoffizielle vierte Strophe dazu.

Diese Tasse mit dem Text der alten DDR-Hymne "Auferstanden aus Ruinen" ist nach derzeitigem Forschungsstand bisher in keiner einzigen "Tatort"-Folge verwendet worden.

Diese Tasse mit dem Text der alten DDR-Hymne "Auferstanden aus Ruinen" ist nach derzeitigem Forschungsstand bisher in keiner einzigen "Tatort"-Folge verwendet worden. © Foto: Deutsches Tassenmuseum

So wenig demokratischer Geist wehte im „Lied der Deutschen“, dass nicht einmal die Nazis Anstoß daran nahmen und die „Deutschland, Deutschland über alles“-Strophe mit dem Horst-Wessel-Lied als Nationalhymne weiter verwendeten.

Der Texter der DDR-Hymne, Johannes R. Becher, auf einer DDR-Briefmarke.

Der Texter der DDR-Hymne, Johannes R. Becher, auf einer DDR-Briefmarke. © Foto: imago

Die dritte Strophe, „Einigkeit und Recht und Freiheit“, klingt vom Text her zwar politisch korrekt, steht aber auch für das Totschweigen der Nazizeit in der Adenauerrepublik – weil man am Deutschlandlied einfach festgehalten hat.

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben schrieb das Deutschlandlied.

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben schrieb das Deutschlandlied. © dpa

Mich stört daran, dass man zur Melodie natürlich auch den Text der anderen Strophen mitsingen kann, nicht nur im Geiste, sondern real: Man höre sich nur mal die Gesänge der deutschen Fans im Stadion von Bern an, nachdem Deutschland soeben Weltmeister geworden war. Die Radioübertragung war dann sehr schnell zu Ende.

Einheitsübungen am 22. Dezember 1989 auf der Berliner Mauer: Eine Flagge mit Bundesadler trifft auf ein Textzeile aus der DDR-Hymne.

Einheitsübungen am 22. Dezember 1989 auf der Berliner Mauer: Eine Flagge mit Bundesadler trifft auf ein Textzeile aus der DDR-Hymne. © dpa

Übrigens kann man auch auf die Melodie der alten DDR-Hymne den Text des Deutschlandlieds singen. Sollte man als historisches Karaoke mal privat zu Hause ausprobieren. Das funktioniert, weil Hanns Eisler sich beim Komponieren der Melodie von „Auferstanden aus Ruinen“ nach dem Versmaß von Haydns „Kaiserhymne“ gerichtet hat – eigentlich eine schöne Verbeugung vor der Tradition und der Idee der nationalen Einheit.

Noch mit 78 Umdrehungen: eine alte Single mit etwas anderer Schreibweise des Titels.

Noch mit 78 Umdrehungen: eine alte Single mit etwas anderer Schreibweise des Titels. © Foto: privat

Mir gefällt der Text der alten DDR-Hymne von Johannes R. Becher. Er reflektiert den Bruch des Zweiten Weltkriegs und den Wunsch, es danach besser zu machen. Außerdem adelt ihn, dass ihn die Möchtegern-Stalinisten aus dem SED-Politbüro ab den 1970er Jahren nicht mehr hören wollten und die DDR-Hymne nur noch instrumental gespielt wurde.

„Cheerio, cheerio, cheerio“

„Cheerio, cheerio, cheerio“

Doch da es „Auferstanden aus Ruinen“ nie zur gesamtdeutschen Hymne schaffen wird und eine neu komponierte Hymne in einem Land, das zwischen Ampel und Jamaika schwankt, nicht mal in den Sternen steht, halte ich mich lieber an „Goodbye Johnny“. Da stammt die Melodie von Peter Kreuder, und Hanns Eisler hat nie erklären mögen, warum die ersten neun Töne von „Auferstanden aus Ruinen“ damit identisch sind.

Der Text, den Hans Albers so unnachahmlich vernuschelt, ist hymnentauglich: Er handelt von einem Verlust in Kriegszeiten – und sogar vom Ideal der Einheit: „Eines Tages, eines Tages/ Mag's im Himmel sein/ Mag's beim Teufel sein/ Sind wir wieder vereint“, singt Hans Albers. Das ist meine Hymne des Herzens. „Cheerio, cheerio, cheerio“.

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