Festival in Corona-Zeiten

Was bei den Bayreuther Festspielen 2021 alles anders ist

22.7.2021, 10:54 Uhr
Wirkt majestätisch und unverrückbar: das Bayreuther Festspielhaus. Doch im Jahr 2021 ist bei den Richard-Wagner-Festspielen vieles anders.

© Tobias Hase Wirkt majestätisch und unverrückbar: das Bayreuther Festspielhaus. Doch im Jahr 2021 ist bei den Richard-Wagner-Festspielen vieles anders.

1. Zugang nur mit Bändel

Der Weg zu den Bayreuther Festspielen führt heuer über einen Registrierungsprozess. Danach werden alle Besucher, die in die Vorstellungen im Festspielhaus gehen, ein Bändel am Handgelenk tragen, nur das gewährt ihnen den Zutritt ins Allerheiligste der Wagner-Fans.

Ein bisschen wird sich das anfühlen wie in einem All-Inclusive-Hotel, allerdings in einem eher ungemütlichen: Wegen Corona sind die Garderoben geschlossen, die hauseigenen Toiletten werden durch mobile Außenklos ersetzt.

2. Kein Roter Teppich

Darauf werden die Festspielgäste und die Schaulustigen heuer verzichten müssen: Bei der Eröffnung der Festspiele am 25. Juli wird es keinen Roten Teppich geben.

Darauf werden die Festspielgäste und die Schaulustigen heuer verzichten müssen: Bei der Eröffnung der Festspiele am 25. Juli wird es keinen Roten Teppich geben. © Tobias Hase

Und, ach ja: Den allseits und medial viel beachteten Roten Teppich für all die sonst üblichen Promis bei der Eröffnung am 25. Juli wird es nicht geben.

3. Nur nationale Politprominenz kommt

In den letzten Wochen ihrer Amtszeit kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel auch heuer zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele am 25. Juli.

In den letzten Wochen ihrer Amtszeit kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel auch heuer zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele am 25. Juli. © Tobias Hase

Bundeskanzlerin und Festspiel-Stammgast Angela Merkel hat anders als in den Vorjahren erst kurzfristig entschieden, dass sie zur Festspieleröffnung kommen wird. Internationale Politikerkollegen wird sie wegen der schwierigen Reisebedingungen dieses Mal dort kaum antreffen.

Dafür kann sie mit drei Ministerpräsidenten plauschen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wird nach Bayreuth kommmen, begleitet von zahlreichen Ministern seines Kabinetts. Zu den Premierengästen zählen außerdem der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer und sein Amtskollege Tobias Hans aus dem Saarland (beide CDU).

4. 911 statt 1937 Zuschauer

Im Festspielhaus wird es heuer deutlich leerer sein: nur 911 Zuschauer sind pro Vorstellung zugelassen. Möglich wären 1937 Zuschauer. 

Im Festspielhaus wird es heuer deutlich leerer sein: nur 911 Zuschauer sind pro Vorstellung zugelassen. Möglich wären 1937 Zuschauer.  © Nicolas Armer

Insgesamt ist der Zugang zu einem der weltweit bedeutendsten Klassikfestivals erheblich schwieriger geworden als in der Vergangenheit. Schon mathematisch, weil in jede der Vorstellungen im 1937 Plätze umfassenden Festspielhaus nur 911 Zuschauer dürfen, also nicht einmal die Hälfte.

Was für eine Reduktion – und das bei Festspielen, die in normalen Zeiten fast immer komplett ausverkauft sind und 65 Prozent ihres Etats aus den Karteneinnahmen bestreiten!

Diese Verknappung ist den Corona-Hygienemaßnahmen geschuldet, der Registrierungsprozess baut auf den inzwischen zum Standard gewordenen 3 Gs auf (genesen, getestet oder geimpft) und ist den behördlichen Vorgaben geschuldet.

5. Auch Anti-Terror-Maßnahmen gibt es

Auch die Bayreuther Festspiele 2021 werden gut bewacht sein. Nicht wegen Corona, sondern wegen der Anti-Terror-Maßnahmen.

Auch die Bayreuther Festspiele 2021 werden gut bewacht sein. Nicht wegen Corona, sondern wegen der Anti-Terror-Maßnahmen. © Marcus Führer

Dazu kommt die Vorsicht der seit dem Jahr 2015 eingeführten Anti-Terror-Maßnahmen: Ein Sicherungs-Kordon ist um das Festspielhaus gezogen, Teile des Bühnenbereichs sind eingezäunt, Taschen und Rucksäcke nur im Miniaturformat erlaubt, Getränke im Zuschauerraum komplett verboten. Mit anderen Worten: es war schon mal bedeutend entspannter, nach Bayreuth zu fahren und den Grünen Hügel zu erklimmen.

Ausgleich gibt es nur medial: „Der fliegende Holländer“ ist in ausgewählten Kinos (auch im Cinecittà) zu sehen; BR-Klassik sendet und streamt wie immer live aus Bayreuth.

6. Die ewig scheinenden Rhythmen Bayreuths sind unterbrochen

Eine Wagner-Figur mit FFP2-Maske. Corona macht auch vor den Bayreuther Festspielen nicht halt.

Eine Wagner-Figur mit FFP2-Maske. Corona macht auch vor den Bayreuther Festspielen nicht halt. © Nicolas Armer

Auch künstlerisch bedeuten diese Festspiele diesmal eine besondere Herausforderung. Die fast Ewigkeitscharakter beanspruchenden Rhythmen der Festspiele sind durch die Absage im letzten Jahr unterbrochen worden, haben sich verschoben.

7. Die Chöre singen nicht live im Festspielhaus

Die weltberühmten Chöre werden heuer nicht direkt im Festspielhaus singen, sondern von einer Nebenbühne zugespielt. Hier eine Szene der "Meistersinger von Nürnberg" in der Regie von Barrie Kosky.

Die weltberühmten Chöre werden heuer nicht direkt im Festspielhaus singen, sondern von einer Nebenbühne zugespielt. Hier eine Szene der "Meistersinger von Nürnberg" in der Regie von Barrie Kosky. © Enrico Nawrath

Nicht einmal der berühmte Bayreuther Chor wird live im Festspielhaus singen, sondern von einer anderen Bühne eingespielt, um den Aerosolausstoß in dem Haus, das nach 145 Jahren noch immer keine Klimaanlage hat, kleiner zu halten.

8. Der "Ring des Nibelungen" musste verschoben werden

Er wuchtete den letzten kompletten "Ring des Nibelungen" auf die Bühne des Bayreuther Festspielhauses: Regisseur Frank Castorf.

Er wuchtete den letzten kompletten "Ring des Nibelungen" auf die Bühne des Bayreuther Festspielhauses: Regisseur Frank Castorf. © Peter Kolb

In einem normalen Jahr 2021 würde die Zweitaufführung des neuen „Ring des Nibelungen“ diskutiert werden, die Veränderungen in der Regie des jungen Österreichers Valentin Schwarz und in der musikalischen Interpretation des jungen finnischen Hügel-Debütanten Pietari Inkinen.

Doch wegen Corona fiel die in Bayreuth traditionell mit höchster Spannung erwartete Neuinszenierung im letzten Jahr aus. Sie soll erst 2022 erstmals über die Bühne gehen.

9. Ein Aktionskünstler inszeniert die "Walküre"

Inszeniert 2021 die "Walküre" als Solitär: Aktionskünstler Hermann Nitsch.

Inszeniert 2021 die "Walküre" als Solitär: Aktionskünstler Hermann Nitsch. © Sven Hoppe

Stattdessen wird Hermann Nitsch aus der „Ring“-Tetralogie eine „Walküre“ als Solitär inszenieren. So etwas ist in Bayreuth eigentlich nicht vorgesehen, denn das vierteilige, rund 16-stündige und hier 1876 in dieser Form uraufgeführte Musikdrama Richard Wagners wird am Grünen Hügel immer als Zyklus aufgeführt, das zählt zum Markenkern der Festspiele. Immerhin: Die anderen drei „Ring“-Teile werden von den Festspielen heuer in unterschiedlichen künstlerischen Projekten rund um das Festspielhaus gespiegelt.

Der 82-jährige Aktionskünstler Nitsch ist nach heutigem Debattenvokabular ein Prototyp des alten weißen Mannes. In seiner früher mal heftig skandalisierten Beschüttungskunst und seinem Orgien-Mysterien-Theater hat er ein Faible für Blut bewiesen und nun schon einmal einen „Farbrausch“ für die „Walküre“ angekündigt.

10. Ein junger Finne gibt ein gevierteltes Dirigenten-Debüt

Debütiert in Bayreuth heuer mit der "Walküre": der finnische Dirigent Pietari Inkinen.

Debütiert in Bayreuth heuer mit der "Walküre": der finnische Dirigent Pietari Inkinen. © imago images/CTK Photo/Michal Dolezal

Dagegen muss sich dann im „mystischen Abgrund“ des gedeckelten Orchestergrabens Pietari Inkinen bei seinem „geviertelten“ Bayreuth-Debüt – gemessen am kompletten „Ring“ im nächsten Jahr – behaupten.

11. Erstmals in 145 Jahren dirigiert in Bayreuth eine Frau

Steht nach 145 Jahren und 92 Männern als erste Frau am Pult der Bayreuther Festspiele: die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv.

Steht nach 145 Jahren und 92 Männern als erste Frau am Pult der Bayreuther Festspiele: die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv. © Oleh Pavliuchenkov/dpa

Die planmäßig vorgesehene Neuinszenierung dieses Jahres ist „Der fliegende Holländer“. Hier ist tatsächlich Epochales aus dem Orchestergraben zu vermelden, denn statt den ewigen Männern am Pult wird nach 145 Jahren erstmals eine Frau in Bayreuth dirigieren – die 43-jährige Ukrainerin Oksana Lyniv.

Sie ist Teil jener jungen, international erfolgreichen Generation von Dirigentinnen, zu denen auch die Nürnberger Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz gehört, und denen hoffentlich endlich die Dirigentenposten der bedeutenden Orchester offenstehen.

In Bayreuth, diesem Hort eines latenten, sich trotz aller Modernisierung immer wieder häutenden Konservatismus, klingt diese Neuigkeit immer noch wie eine Sensation – und ist doch anderswo schon fast selbstverständlich.

12. Russische Regie beim "Fliegenden Holländer"

Gehört zur ersten Riege der Opernregisseure: Der Russe Dmitri Tcherniakov inszeniert heuer in Bayreuth den "Fliegenden Holländer".

Gehört zur ersten Riege der Opernregisseure: Der Russe Dmitri Tcherniakov inszeniert heuer in Bayreuth den "Fliegenden Holländer". © imago images / tagesspiegel/Doris Spiekermann

Im Vergleich dazu verblasst das Hügel-Debüt von Dmitri Tcherniakov fast ein wenig. Dabei zählt der 51-jährige Russe, der den „Fliegenden Holländer“ inszeniert, zur ersten Riege der Regisseure. In seinen Arbeiten setzt er auf solide, manchmal etwas verrätselte Psychologisierung in oft düsteren, symbolisch aufgeladenen und historisch überlebt wirkenden Innenräumen.

Sein Konzept in Bayreuth wurde durch eine schwere technische Panne in der letzten Probenwoche gefährdet und musste bis kurz vor der Premiere den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Spannung bis zum Schluss.

13. Reduziertes Kernprogramm

Sind trotz des reduzierten Kernprogramms im Jahr 2021 in Bayreuth zu sehen: "Die Meistersinger von Nürnberg" in der Regie von Barrie Kosky.

Sind trotz des reduzierten Kernprogramms im Jahr 2021 in Bayreuth zu sehen: "Die Meistersinger von Nürnberg" in der Regie von Barrie Kosky. © Enrico Nawrath

Das restliche Kernprogramm der Festspiele ist wegen Corona reduziert: Es gibt Barrie Koskys gewitzte Deutung der „Meistersinger von Nürnberg“ und Tobias Kratzers frechen und klugen „Tannhäuser“, der 2019, im letzten Jahr vor Corona, für viel sympathischen Wirbel gesorgt hat.

14. Der Regenbogenfahnen-Künstler von 2019 ist nicht dabei

Der britische Travestiekünstler Le Gateau Chocolat entfaltete als Mitwirkender des "Tannhäuser" im Jahr 2019 die Regenbogenfahne im Bayreuther Festspielhaus.

Der britische Travestiekünstler Le Gateau Chocolat entfaltete als Mitwirkender des "Tannhäuser" im Jahr 2019 die Regenbogenfahne im Bayreuther Festspielhaus. © Tobias Hase

Der britische Travestiekünstler „Le Gateau Chocolat“, der damals die Regenbogenfahne im Bayreuther Festspielhaus gehisst hat, ist heuer nicht mit von der Partie, die Corona-Reisebeschränkungen während der Probenzeit verhinderten das.

15. Dirigent Thielemann macht sich rar

So rar macht er sich seit 20 Jahren nicht am Grünen Hügel: Christian Thielemann wird nur einmal einen konzertanten "Parsifal" dirigieren.

So rar macht er sich seit 20 Jahren nicht am Grünen Hügel: Christian Thielemann wird nur einmal einen konzertanten "Parsifal" dirigieren. © Robert Michael

Insgesamt ist ein wenig unklar, wo die Bayreuther Festspiele im Jahr Zwei der Pandemie wirklich stehen. Die Zeichen sind diffus: Weil der „Lohengrin“ wegen Corona pausieren muss, wird der von den Bayreuther Festspielgästen höchst geschätzte Christian Thielemann erstmals seit seinem Debüt im Jahr 2000 keine Oper dirigieren.

Nur eine einzige konzertante Aufführung des „Parsifal“ spendet den Thielemann-Fans ein wenig Trost. Seine Bayreuther Zukunft steht womöglich in den Sternen. Sein Vertrag als Musikalischer Direktor – dieses Amt wurde erstmals in der Festspielgeschichte für ihn geschaffen – ist ausgelaufen, angeblich gibt es Verhandlungen über eine weitere Zusammenarbeit.

16. Die Festspielchefin musste eine schwer Krankheit überstehen

Nach schwerer Krankheit genesen: Festspielchefin Katharina Wagner.

Nach schwerer Krankheit genesen: Festspielchefin Katharina Wagner. © Matthias Balk

Und Festspielchefin Katharina Wagner hat 2020 eine schwere Erkrankung, bei der sie sogar ein paar Wochen im Koma lag, überstehen müssen. Seit Herbst hat sich die 43-Jährige wieder gesund gemeldet, wirkt nach außen aktiv wie eh und je. Doch solche einschneidenden Erlebnisse hinterlassen sicher Spuren.

17. Sanierung des Festspielhauses wird deutlich teurer

Die Sanierung des Bayreuther Festspielhauses wird noch einmal deutlich teurer.

Die Sanierung des Bayreuther Festspielhauses wird noch einmal deutlich teurer. © Eric Waha

Immerhin bei den Finanzen scheint alles in trockenen Tüchern zu sein. Die noch mehrere Jahre dauernde Sanierung des Festspielhauses kostet rund 170 statt der ursprünglich veranschlagten 130 Millionen Euro, aber Bund und Freistaat haben die Übernahme der gestiegenen Kosten zugesagt.

18. Freistaat will die Kosten der Festspiele kontrollieren

Zwar will der Freistaat nun einen genaueren Blick auf die Kosten werfen und die Strukturen rund um die Richard-Wagner-Stiftung (Eigentümerin des Festspielhauses) und die Bayreuther Festspiel GmbH (Veranstalterin der Festspiele) prüfen, doch für den laufenden Betrieb der Festspiele bedeutet das sicher keine Gefahr.

19. Der Einnahmeausfall im Jahr 2021 wird voll kompensiert

Denn für 2021 steht die Zusicherung, dass der Einnahmeausfall, den die Festspiele durch die weniger verkauften Karten erleiden, komplett durch die vier wichtigsten Stiftungsmitglieder (Bund, Freistaat, Stadt Bayreuth, „Freunde“-Mäzenatengesellschaft) ersetzt wird.

So eine komfortable Absicherung haben nur die allerwenigsten Kultureinrichtungen in der Bundesrepublik – die Richard-Wagner-Festspiele sind eben ein Flaggschifffestival. Auch in puncto Finanzierung könnte man sagen: Bayreuth all inclusive.

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