Widerstand im Waschsalon

7.10.2019, 17:00 Uhr
Widerstand im Waschsalon

© Foto: Konrad Fersterer

Seit gut zehn Jahren erörtern junge Bewohner der Metropole Istanbul das Problem "Gehen oder Bleiben?". Zu dieser Gruppe gehört ohne Zweifel auch die Dramaturgin Ceren Ercan, die vor Ort miterleben musste, wie eine Mehrheit (?) in der Türkei ihr Heil beim diktatorischen starken Mann und beim Abbau des liberalen Rechtsstaats sucht.

 

Geschichtlicher Verweis

Der Prolog vor der Bühne wagt einen fragwürdigen geschichtlichen Verweis: Zwei Schauspieler zitieren aus dem Gespräch von Rainer Werner Fassbinder mit seiner Mutter im "Deutschen Herbst" 1979: "Ich hab’ auch Angst, aber ich hab das Gefühl, dass ich hier nicht weg kann." Hätte man nicht besser an die Situation in der DDR 1989 oder im Deutschen Reich ab 1933 erinnern sollen?

Der zentrale Schauplatz danach ist nicht ohne Symbolik: ein Waschsalon, der mit Stahlgerüst und grauen Fliesen das Bild einer Gefängniszelle vermittelt. Darin neun Waschmaschinen, deren beleuchtete Ladefenster an einschüchternde Überwachungskameras erinnern (Bühne: Lydia Merkel). Kafka und Orwell lassen grüßen, denn hier treffen sich Menschen, denen aus unbekannten Gründen zu Hause das Wasser abgestellt wurde und die feststellen müssen, dass ihre Präsenz in den sozialen Medien lückenlos überwacht wird.

Da ist die Übersetzerin Irem (Lisa Mies), die seit über 90 Tagen in einen Selbstwäsche-Streik getreten ist, weil ihr an der Türkei einiges stinkt. Verschüchtert tritt die modebewusste Damla (Süheyla Ünlü) auf, deren Freund aus Arizona Freiheits-Mails schreibt. Dazu die junge Mutter Defne (Lea Sophie Salfeld), die ihren Sohn Dervish Direnç (auf deutsch: Widerstand) genannt hat, und der schwule Radiomoderator Emre (Amadeus Köhli), der in einer bewegenden Rede von der Niederschlagung der Gay-Pride-Parade erzählt.

Ihnen gegenüber steht der Salon-Manager Alican (Nicolas Frederic Djuren), ein leicht übergriffiger Handlanger des Systems mit unklarer Vergangenheit. Er stöbert in der Wäsche der Kunden und findet ein T-Shirt mit verdächtigem Aufdruck, ein Kurdentuch und einen Kissenbezug mit westlichen Comicfiguren: "Wenn es ihnen hier nicht passt, dann können sie auch das Land verlassen!"

Aus dieser bewusst überzeichneten Personen-Aufstellung entsteht in der Regie von Selen Kara, die in der letzten Saison den sehr regionalen Liederabend "Die Musik war schuld" verantwortet hat, eine flotte Nummern-Revue mit einigem szenischen Spektakel, mit besinnlichen Momenten und eindringlichen Monologen, untermalt von Video-Einspielungen und Background-Piano (Vera Mohrs).

Das neue Grundprinzip der Diversität ist in jedem Fall gewahrt: es gibt ein sehr informatives zweisprachiges Programmheft und türkische Untertitel an beiden Bühnenseiten. Der traditionell deutsche Besucher des Staatstheaters erhält einen lohnenswerten Zeitgeschichte-Crash-Kurs "Türkisch für Anfänger", ob auch Deutsch-Türken aus der Umgebung in großer Zahl diese Einladung zur Selbstreflexion annehmen werden, bleibt abzuwarten.

Das Stück jedenfalls endet mit Ablenkung bei einer Schaumparty, einem Bühnen-Dreh zur westlichen Cocktail-Bar und langem Beifall für die Akteure – besonders für die anwesende Autorin Ceren Ercan.

InfoWeitere Aufführungen: 9. und 25. Oktober; 7., 16. und 30. November. Karten-Tel.: 09 11/2 16 27 77.

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