Zum Schluss zählte jede Minute

13.5.2018, 17:42 Uhr

Man muss schon sagen, in puncto Marketing spielen die Nürnberger Symphoniker in der deutschen Klassikwelt ganz oben mit: Diese muppetesken Werbepuppen fürs "Sechsy"-Flexi-Abo! Diese liebevoll gestalteten Programmhefte! Und für jedes Konzert ein neues kreatives Motto!

"Jede Minute zählt" hieß dasjenige des Saison-Abschlusskonzerts; die Inspiration dafür bot vor allem Ernst von Dohnányis kurz weilende und kurzweilige Orchestersuite "Symphonische Minuten". Am Pult der Meistersingerhalle steht der Gast-Maestro Boian Videnoff, ein Bulgare, der seinem Dirigierstil zufolge auch eine Karriere als Freistil-Schwimmer hinter sich hat. Routiniert rotierend durchpflügt er die Klangwogen mit ausufernden Armbewegungen, zerpflückt sie manchmal auch. So lässt schon das eröffnende Capriccio die irisierende, irrlichternde Intensität vermissen, die durch die Spielanweisung "vivacissimo possibile" zu erwarten wäre; die Holzbläser durften wohl nicht überfordert werden. Auch im Scherzo und im Rondo fehlt es an Schneid und Schmiss. In der Rapsodia und dem Andante gelingen dank Celesta und Englischhorn-Solo innige Momente, trotzdem wandert mancher Besucherblick bereits auf die repräsentative Armbanduhr. Ja, jede Minute zählt, aber Zeit ist bekanntlich relativ.

Ewa Kupiec heißt die Solistin, die an diesem Abend gleich zwei Klavierkonzerte bestreitet. Zuerst ist ihr Landsmann Frédéric Chopin an der Reihe – Nr. 2, op. 21., f-moll. Die Polin ist eine Dame der leisen Töne und lässt keine Zweifel daran aufkommen, dass das Larghetto der kompositorische Höhepunkt des Werks ist.

Hier artikuliert sie ergreifend intim und kostet jede Phrase aus, während die virtuosen Passagen fast verwaschen wirken – eine Interpretation, die nur die zärtelnde, nach innen gekehrte Seelenhälfte des Tasten- und Salonlöwen Chopin widerzuspiegeln vermag. So entbehrt auch das plakative F-Dur-Finale jener Ironie, die es erst vergnüglich machen würde. Großartig hingegen gerät die Zugabe, Chopins Nocturne in cis-moll, eines seiner Opera posthuma.

Nahe an der Sehnenscheidenentzündung

Ein Parforce-Ritt der Rhythmen ist das Konzert für Klavier und Streicher von Henryk Górecki, in dem Postminimalismus auf Neoklassik trifft – die Uraufführung fand 1980 mit einem Cembalo statt. Dabei zählt der Solist wahrlich die Sekunden, denn mit jedem Anschlag des Akkord-Trommelfeuers nähert er sich der Sehnenscheidenentzündung. Kupiec ist sichtlich erleichtert, als der Kraftakt unfallfrei überstanden ist.

Den furiosen Schlusspunkt setzt Beethovens achte Sinfonie; Mälzels Metronom (zu dem Beethoven eine Art Hassliebe pflegte) tickt hier in allen Sätzen im flotten Tempo. An die Angaben des Komponisten hält sich Videnoff sehr genau. Da gelingen durchaus energische Passagen, die des Meisters Feuergeist angemessen sind; allerdings hat der Dirigent dabei sichtlich mehr Spaß als das Orchester: Seine wenig elegante Schlagtechnik scheint auf die Musiker eher irritierend denn inspirierend zu wirken. Es mangelt an Schliff, Struktur, aussagestarker Phrasierung und . . . Zeit, diese Kritik zu beenden.

Jede Minute zählt!

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